Colostrum, Aronia und Co.

20. April 2020


Seit Anfang Jahr enthalten die Richtlinien von Bio Suisse erstmals eine Weisung zu Nahrungsergänzungsmitteln (ab S. 287 der Richtlinien). Diese legt fest, welche Anforderungen erfüllt sein müssen, damit dosierte Präparate wie Kapseln oder Tabletten, aber auch Pulver, Granulate und Flüssigkeiten mit der Knospe ausgezeichnet werden dürfen. Ein Novum, das Herstellern, Verarbeitern und Händlern solcher Produkte den Zugang zur Knospe erleichtern und neue Perspektiven eröffnen soll. Ein Gedanke, der übrigens schon 2004 einmal in den Köpfen des Vorstands von Bio Suisse herumgegeistert war, 2008 aber wieder fallen gelassen wurde. Unter anderem aus Imagegründen.

In der Vergangenheit war es grundsätzlich so, dass sich nur ganz wenige Nahrungsergänzungsmittel für die Knospe qualifizieren konnten. Und auch nur deshalb, weil sie in ihrer Form einer bereits in den Richtlinien aufgeführten Lebensmittelkategorie entsprachen. Klassisches Beispiel dafür sind die Colostrum-Produkte der Zuger Firma Swiss Bio Colostrum. Dabei handelt es sich ganz einfach um Milchpulver aus zertifizierter Biestmilch von Kühen, Ziegen und Schafen. Das früher geltende generelle Verbot von Nahrungsergänzungsmitteln – und Colostrumpulver ist im Grunde nichts anderes – konnte damit jahrelang elegant umschifft werden. Als jedoch der Tag kam, als besagte Firma nebst Pulver auch noch Kapseln in Knospe-Qualität herstellen wollte, sagten die Verantwortlichen von Bio Suisse zunächst einmal «niet!».
 

Colostrum


Die Erklärung für diese Haltung liefert ein internes Papier, dass die Neubeurteilung von Nahrungsergänzungsmitteln durch Bio Suisse in den Jahren 2014 bis 2015 zusammenfasst. Kapseln und Tabletten, heisst es da, würden aufgrund ihrer Angebotsform eine gesundheitsspezifische Wirkung vortäuschen, die möglicherweise gar nicht vorhanden sei. Zudem sei die Tablettierung eine unnötige Verarbeitung und es würden teilweise Dragierhilfsstoffe verwendet. Auch die Einkapselung von Ölen wurde als unnötige Verpackung bewertet. Wohlwollend äussert sich das Papier hingegen zu Produkten mit dem Charakter einer normalen Lebensmittelzutat, natürlich und schonend verarbeitet. Etwa Algenpulver, Weizengrassaft, Acerolapulver oder Karottenkonzentrat.

Lässt man die beiden Aspekte Verarbeitung und Verpackung einmal beiseite, ist in der Tat die Frage der Dosierung ein springender Punkt. «Nehmen wir eine einfache Büchse mit Milchpulver. Vielleicht steht eine Konsumempfehlung drauf, aber wie viel ich am Ende davon ins Wasser einrühre und trinke, ist mir überlassen», erklärt Simone Hartong, Verantwortliche für die Lizenzierung von Nahrungsergänzungsmitteln bei Bio Suisse. Bei Tabletten und Kapseln hingegen gehe es um spezifische Gebrauchshinweise. «Dann heisst es dort, man solle so und so viele Tabletten am Tag zu sich nehmen.» Zum Beispiel, um das Immunsystem zu stärken. Und gerade darin unterscheiden sich Nahrungsergänzungsmittel deutlich von Lebensmitteln oder eben Lebensmittelzutaten, was ein weiterer Grund war, weshalb sich Bio Suisse lange dagegen sträubte, solche pillenartige Präparate zuzulassen. Trotz regelmässigen Anfragen von Herstellern.

Sanddorn


Der Kurswechsel kam 2017 mit dem Inkrafttreten der neuen Eidgenössischen Verordnung über Nahrungsergänzungsmittel. Bis dahin waren diese in der Verordnung über die Speziallebensmittel integriert, zusammen mit den Vitaminen und Mineralstoffen, die Lebensmitteln zugesetzt werden können. Erst diese Trennung durch den Gesetzgeber führte dazu, dass sich das Qualitätsgremium von Bio Suisse erneut über die Thematik Gedanken machen konnte. In der Folge beschlossen die Verantwortlichen, Nahrungsergänzungsmittel künftig doch in die Richtlinien mit aufzunehmen, was ab 2019 definitiv der Fall war.

Im Januar desselben Jahres wurde ein erstes Merkblatt dazu publiziert. Schliesslich folgte die dazugehörige Weisung, die seit Januar 2020 gilt. Sie besagt unter anderem, dass nur Produkte aus natürlichen, lebensmitteltypischen Inhaltsstoffen erlaubt sind. «Der Lebensmittelcharakter muss erhalten bleiben», sagt Simone Hartong. Als Beispiel nennt sie Federkohl. Da könne man die Pflanzenfasern trocknen und vermahlen oder pulverisieren. Es sei immer noch Federkohl mit all seinen Bestandteilen, er sehe einfach anders aus.

Algen

Weitere zugelassene Verfahren sind unter anderem Destillation, Fermentation (zum Beispiel Bierhefe), Pressen (Öl), Pasteurisieren oder die Mikroverkapselung. Auch seien gewisse Formen der Extraktion erlaubt, sagt Simone Hartong. In schonenden Lösungsmitteln notabene, etwa Wasser, Alkohol oder CO2. «Was hingegen gar nicht geht, ist, einzelne Inhaltsstoffe zu extrahieren und zu isolieren, zum Beispiel ein Vitamin, weil es sich dann ja nicht mehr um ein Lebensmittel handelt.»

Umgekehrt dürften keine Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente oder andere Spezialnährstoffe einem Nahrungsergänzungsmittel zugegeben werden. «Schon gar nicht chemisch-synthetisch hergestellte», sagt Simone Hartong. Das sei eh ein Grundsatz. Ausserdem enthielten Knospe-Lebensmittel von Natur aus schon genügend Vitamine und Nährstoffe. Sie anzureichern, ergäbe also keinen Sinn. Als genauso sinnlos erachtet die Markenkommission Verarbeitung und Handel von Bio Suisse die Zulassung von Brausetabletten. Sie lehnt diese Darreichungsform ab, weil es, wie sie sagt, dafür weitere Zusatzstoffe brauchen würde und normale Tabletten ausreichend seien.

Aronia


Aktuell gibt es zwei Unternehmen, die Knospe-zertifizierte Nahrungsergänzungsmittel herstellen und vertreiben. Die bereits erwähnte Swiss Bio Colostrum mit ihren Colostrum-Produkten sowie die Luzerner Firma Progress mit einem Pulver aus Aroniabeeren. Damit hat es sich im Moment aber schon. «Das hat sicher auch damit zu tun, dass wir die neuen Möglichkeiten noch nicht breit in der Branche beworben haben», sagt Simone Hartong. Der Markt wäre schon da. Das zeige das bestehende Angebot an biologisch hergestellten Nahrungsergänzungsmitteln. Man denke da nur an Acai-Kapseln oder Sanddorn-Tabletten. «Grosses Potenzial sehe ich persönlich in der Hofverarbeitung. So könnten auf landwirtschaftlichen Betrieben zum Beispiel Gemüse- und Fruchtpulver einfach und gewinnbringend hergestellt werden.»

Kontakt: simone.notexisting@nodomain.comhartong@bio-suisse.notexisting@nodomain.comch, Tel. 061 204 66 52

Text: René Schulte, Bio Suisse/Bioaktuell
Fotos: Sewcream/depositphotos.com; TinaStudio/www.tina-studio.com (CC BY-SA 3.0, cropped); rcpsi/depositphotos.com; AntonMatyukha/depositphotos.com; Goran Horvat/pixabay.com
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