Dieses Jahr ist alles anders. Bio-Landwirt Dieter Weber von der Oberen Wanne rät sogar von der Kartoffelreportage ab. Der Grund: Die Ernte war eine «Totalkatastrophe», wie er mit knirschenden Zähnen berichtet. Spannende Geschichten erzählen kann er dennoch. Unter anderem über die Liebe zu diesen seltenen erdigen Knollen und was es generell mit den alten Kartoffelsorten auf sich hat. Denn viele kennen die enorme Kartoffelvielfalt gar nicht. Die herkömmlichen Koch- oder Bratkartoffeln, meistens gleich gross genormt, sind überpräsent im Detailhandel. Wir wollen mehr erfahren und sensibilisieren. Was man nicht vergessen darf, wenn man dieses Jahr ein Kartoffelgerichtet zubereitet, ist die generell angespannte Lage aller Berufskollegen in der Kartoffelbranche.
Sie heissen Parli, Röseler, Blaue St. Galler, Baselbieter Müsli oder Weisse Lötschentaler, sind uralt und werden von ProSpecieRara als traditionelle, ursprünglich heimische Kartoffelsorten zur Erhaltung geschützt. Auf dem Bio-Hof Obere Wanne in Liestal, Baselland, werden knapp 20 seltene ProSpecieRara-Kartoffelsorten kultiviert. Die Vielfalt an Aromen, Farben und Kocheigenschaften ist für Hobby- und Profiköche genauso interessant wie für Gourmets und Geniesser.
Dieter Weber, wieso war die Kartoffelernte dieses Jahr so schwierig?
Die klimatischen Bedingungen für die Kartoffeln waren sehr schlecht. Die Nässe und Kälte in diesem Jahr haben das Wachstum der Kartoffeln erschwert. Die Kraut- und Knollenfäule, die sich durch einen feuchtigkeitsliebenden Pilz ausbreiten konnte, hat bei uns leider - je nach Sorte - zu einem Ertragsausfall bis zu 90% geführt. Dies ist ein herber Schlag. Wir bezeichnen die Ernte darum dieses Jahr als Totalausfall.
Wie gehen Sie mit diesem Rückschlag um und welchen Einfluss hat dies für nächstes Jahr?
Unser Credo lautet: Kartoffeln werden bei uns natürlich angebaut, und daran halten wir fest! Also wir verzichten auf Kupfer oder belastende Pestizide. Wir bauen die Kartoffeln rein biologisch und regenerativ an. Unser Ziel ist es, die Bodenfruchtbarkeit zu verbessern und den Humusgehalt zu erhöhen. Bei mir ist eine Kartoffel eine Kartoffel und gerade bei den alten Sorten, wie etwa dem Parli, empfehle ich: Esst sie doch bitte mit Schale! Ich will daher nur gesunde, unbehandelte Kartoffeln, und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Für dieses Jahr war es für uns sehr hart, aber wir haben noch unser Kürbisland und das Maislabyrinth mit Chaosgarten sowie schöne Schnittblumen. Auch bei den Kürbissen war die Ernte jedoch im Vergleich zu anderen Jahren sehr ernüchternd. Obwohl sie erst super ausgesehen haben. Dann jedoch habe ich bemerkt, dass es grösstenteils nur männliche Blüten an den Pflanzen gab, aus den weiblichen jedoch wächst der Kürbis. Dennoch haben wir unser Kürbisland mit vielen Sorten aufbauen können, wo wir unter dem Motto «S’hätt solangs hätt» auch die wenigen Kartoffeln zum Verkauf anbieten.
Wie sind Sie dazu gekommen, so seltene urige Pro-Spezie Rara Kartoffeln zu kultivieren?
Ich hatte einen «Aha-Moment», als ich vor vielen Jahren mit meiner Familie auswärts in Bern übernachtet habe. Wir wollten ein Raclette zubereiten und uns fehlten noch die Kartoffeln. Also bin einkaufen gegangen und habe dort die zwei ProSpecieRara Sorten «Baselbieter Müsli» und «Parli» gesehen, ganz klein und preislich sehr hoch (CHF 14.- pro Kilo). Ich habe sie neben der Standartsorte mitgenommen und beim Essen waren diese alten Kartoffelsorten dann eine Wucht. Aromatisch, erdig, wie eine Kartoffel sein soll. Eine Geschmacksexplosion wie vor 40 Jahren! So hat mich die Faszination gepackt und ich bin das ganze Land abgefahren, um verschiedene rare Kartoffelsorten zusammenzukaufen und dann auch selbst zu kultivieren.
Was muss man über seltene Kartoffelsorten noch wissen?
Parli zum Beispiel ist eine 250-jährige ursprüngliche Kartoffelsorte aus dem Bündnerland, optisch nicht so schön oder perfekt, aber ruch und urig. Meine seltenen Kartoffelsorten sind so wie sie sind und wie sie aus der Erde kommen: Sie entsprechen keiner herkömmlichen Grössenskalierung und werden von uns so angeboten, wie wir sie ernten. Mein Ertrag ist sowieso immer kleiner als es bei herkömmlichen Kartoffeln der Fall wäre, und wir ernten auch wirklich viel manuell. Es ist eine Leidenschaft, diese Kartoffelsorten zu kultivieren. Sie sind unsere Schatzkammer im Keller. Wir hatten auch schon ältere Damen bei uns, die beim Anblick der alten Sorte «Ackersegen» im Kartoffelzelt Tränen in die Augen bekamen: Damals zu Kriegszeiten hatten sie ein Grundnahrungsmittel – diese alten Kartoffelsorten – die es heutzutage kaum noch irgendwo gibt. Wir erhalten sie mit Freude und Leidenschaft
Bio-Hof Obere Wanne
Dieter Weber und Nadia Graber führen das Hofgut Obere Wanne in der siebten Generation. Sie haben den Hof 1994 übernommen und auf Bio umgestellt. Raritätenliebhaber und Familien kommen gerne hierher: Der mittlerweile weitum bekannte Setzlingsmarkt im Frühling mit vielen ProSpecieRara-Jungpflanzen, das Maislabyrinth, der Spielplatz, die rund 80 Kürbissorten im Herbst, das Blumenparadies mit vielen Pflanzen zum selber schneiden und nicht zuletzt die vielfältigen Kartoffelraritäten machen den Bio-Hof Obere Wanne zu einem beliebten Ausflugsziel.
Interview und Redaktion: Maya Frommelt, Bilder: Franca Pedrazzetti/Beat Brechbühl, ProSpecieRara Pro Spece Rara, Maya Frommelt