Was führt einen Bio-Weinbauer in die Politik?
Es ist die Auseinandersetzung mit dem Gesetz. Mit dem kam ich in Konflikt, als ich vor dreissig Jahren auf Bio umstellte. Nachhaltig bauern und die Biodiversität fördern bedeuteten damals für mich, gesetzeswidrig handeln zu müssen.
Nicht nur im Rebberg ist Bruno Martin für respektvollen Umgang gegenüber der Natur und ihren Kreisläufen unterwegs. Sein «feu sacré» lebt er für einiges mehr. In seiner Gemeinde Ligerz hat er mit der Gründung eines Fernwärmeverbunds Pionierarbeit geleistet. Seit einem Jahr brennt der Bio-Winzer für seine Grundwerte auch als Vertreter der Grünen im Grossen Rat von Bern.
Wie bitte?
Ich durfte in den Reben zum Beispiel keine Bäume pflanzen, denn es mussten Reben sein. Das Sortenregister schloss Traubensorten aus, die für eine nachhaltige Bewirtschaftung in Frage kamen. Um als Pionier Einfluss nehmen und Veränderungen bewirken zu können, musste ich ganz einfach politisch werden. Ein einschneidendes Erlebnis für mich war vor Jahren auch ein Prozess, den ich zusammen mit Bio Suisse wegen Abdrift führte. Diese hatte zu Rückständen von Chlorothalonil in Biotrauben geführt. Den Prozess haben wir damals haushoch verloren. Das Thema wurde als ‘branchenüblich’ politisch abgegolten. Dass wir das, was wirklich war, nicht geltend machen konnten, hat mich hart getroffen.
Der Auslöser für den Einstieg in die Politik kam aber viel später…
Jahrelang haben mich andere Themen zurückgehalten. Als ich dann von der Trinkwasserinitiative und in diesem Zusammenhang auch von Rückständen durch Chlorothalonil erfuhr, standen mir die Haare zu Berge. Ich unterstützte die Kandidatur der Grünen mit Kilian Baumann im Seeland und erhielt unerwartet viele Stimmen. Durch den grünen Rutsch bei den Nationalratswahlen wurde auch der Kanton Bern grüner. So bin ich im Kantonsrat nachgerutscht.
Wie weit können sich die Grünen im Kantonsparlament einbringen?
Jede Partei hat ihre Linie. Durch die Parteizugehörigkeit ist man nicht unbedingt in allem gleicher Meinung. Und: Man kann in einer grossen Partei politisch nicht unbedingt mehr bewegen als in einer kleinen. Nicht nur in der Natur, auch politisch ist Diversität wichtig. Meine Kernthemen beziehen sich klar auf die Natur. Der Schutz sauberen Wassers liegt für mich auf der Hand. Darum setze ich mich für die Trinkwasserinitiative ein. Es geht um Grundwerte, die gefährdet sind. Und es geht um unsere Gesundheit, die es zu schützen gilt.
Man kennt Sie als überzeugten Befürworter beider Initiativen – auch derjenigen für eine Schweiz ohne Pestizide
Die pestizidfrei-Initiative ist ganzheitlich und hat einen guten Grundsatz. Sie berührt viele Themen, wie die Umweltverschmutzung allgemein, Antibiotika, die Luftqualität – sprich Gas, Abdrift… kurz, die Gesundheit. Viele Biobauern, die ich kenne, sagen, dass es nicht einfach sei mit der Trinkwasserinitiative. Ja, sie tut weh, aber wir müssen das Ziel vor Augen halten. Das ist das Wichtigste.
Als Bio-Winzer haben Sie keine Tiere, das macht es einfacher für Sie
Wenn ich an die Biodiversität in meinem Rebberg denke, dann habe ich Millionen von Tieren (lacht). Und deren Gesundheit steht ebenso auf dem Spiel. Es sind zwar nicht die klassischen, wie Kühe, Schweine, Hühner. Aber ja, ich bin weniger betroffen, denn eine Rebenkultur ist eine sparsame Kultur wie der Wald. Reben brauchen fast keine Nährstoffe, man kann sie Jahrzehnte bewirtschaften, ohne Dünger zukaufen zu müssen. Doch wenn wir von Gesundheit sprechen, müssen wir auch von Ernährung sprechen, von der Luft, von Schadstoffen im Trinkwasser. Und wir dürfen nicht davor zurückschrecken, es auszusprechen: Wir haben ein Drittel zu viel Tiere im Land. Dass das den Tierhaltern weh tut, ist sonnenklar.
Das Trinkwasser im Mittelland ist mit Pestiziden belastet, die (Wein-)Bauern sind mitschuldig. Was machen sie dagegen?
Wir haben nationale Pflanzenreduktionspläne, die aber nicht zum Ziel führen. Solange es Pflanzenschutzmittel zu kaufen gibt und sie legalisiert sind, werden sie eingesetzt. Zum Wasser hier im Seeland: Es sind nicht nur die Bauern, die jahrelang zu viel gespritzt haben. Es sind auch die Gartenbetriebe, die Gemeinden, die SBB… und alles, was aus der Luft und vom Regen hinzukommt. Das Thema ist viel diverser als man denkt. Rückstände können vom Stockhorn kommen, vom Bauer an dessen Fuss, der zwar von seiner Quelle noch trinken kann, der aber überdüngt, der zu viele Tiere hat, der Herbizide einsetzt. Und von seinem Nachbarn, der seinen Garten überdüngt, Pestizide versprüht. Das gelangt bei uns im Seeland ebenso ins Trinkwasser. Es hängt so vieles zusammen. Deshalb müssen wir ganzheitlich denken. Und Grenzen setzen. Vor dreissig Jahren habe ich aus ganz anderen Gründen auf Bio umgestellt. Ich wollte meinen Kindern und Grosskindern gesundes Essen auf den Tisch stellen. Es gibt für mich deshalb keine andere Zukunft als ein Bioland Schweiz.
Dann wäre auch das Thema Abdrift von Pflanzenschutzmitteln via Helikopter vom Tisch...
Aus meiner Sicht ist es ineffizient und wenig nachhaltig, mit dem Helikopter zu sprühen. Auch im Biolandbau nicht. Mit biologisch vertretbaren Schutzmitteln, wie auch mit Kupfer, muss man vor allem die Blattunterseite bedecken, damit gute Wirkung erzielt wird. Einfach erklärt, verhält es sich wie beim Sonnenschutz: Anstelle einer Salbe wirkt eine Luftapplikation wie eine intravenöse Kur, die in die Blutbahn gelangt. Das Produkt schützt wohl über eine gewisse Zeitspanne, doch die Nebenwirkungen und die Umweltbelastung haben nichts mit nachhaltig zu tun. Klar, rentiert es betriebswirtschaftlich gesehen eher, mal schnell zehn Hektaren mit dem Helikopter zu besprühen. Aber gerade im Rebbau gibt es Alternativen. Vor dreissig Jahren habe ich umgepflanzt, widerstandsfähige Sorten gesetzt. Ich habe auch solche gepflanzt, die es dann nicht brachten, habe Versuche gemacht. Das ist Pioniergeist. Wir müssen weiterhin Pionierarbeit leisten, mit der Forschung Fortschritte machen. Wir müssen unseren Anbau unbedingt pestizid- und kupferfrei gestalten. Es ist dasselbe wie mit dem sauberen Wasser. Da müssen wir definitiv durchgreifen, vorwärtsmachen. Und das tut zuerst weh.
Wie können Sie Ihre Sache in der Politik vertreten?
In der Politik bin ich sicher auch einer, der aneckt. Hier gilt es für mich, Grundrechte und Grundwerte zu vertreten, die für alle dieselben sind: sauberes Wasser, gute Luft, gesunde Ernährung. Bei vielem verhält es sich ähnlich wie mit der Biodiversität auf meinem Betrieb. Hier bewirtschafte ich einen Rebberg mit 18 Sorten – in der Politik haben wir es mit einem Parlament mit 160 Talenten aus total verschiedenen Sparten zu tun – vom Stadtpräsidenten über die Pflegefachfrau zum Gewerkschafter bis zum Biobauern. Wir Gewählte tragen gemeinsam Verantwortung für unsere Grundwerte. Die gehen jeden etwas an. Als Biowinzer stehe ich vor dem Entscheid, ob ich Reben ausreissen und an der Stelle für mehr Biodiversität einen Baum pflanzen und dadurch weniger Ertrag in Kauf nehmen will. Die Begründung dafür ist die klare Zielsetzung, dass mein Betrieb nachhaltig, ökologisch und gesund funktionieren soll. In der Politik ist das nicht anders.
Falls die Bevölkerung Ja sagt zu beiden Initiativen. Wie sehen Sie die Zukunft?
Für uns alle wird es eine echte Chance sein – auch für die nächsten Generationen. Die kleine Schweiz hat in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass sie mutig und vorausdenkend starke Zeichen setzen kann. Ich denke da zum Beispiel auch an Bio Suisse, an unsere Schweizer Knospe-Richtlinien, die weiter gehen und anspruchsvoller sind als die EU-Bio-Vorschriften. Wir sind ein Quellenland und als solches zur Vorbildfunktion verpflichtet. Es gibt zukunftsfähige Modelle, und es gibt Möglichkeiten, die wir als Bauern und Bäuerinnen aktiv mitbestimmen können. Auch im Biolandbau müssen wir uns wieder mehr auf die natürlichen Kreisläufe, die Nachhaltigkeit besinnen und weniger nach betriebswirtschaftlichen Kriterien entscheiden.
Ein Mahnfinger für die Bio-Szene?
Ich rede jetzt weder als Biobauer noch als Politiker, sondern als Mensch mit gesundem Menschenverstand: Wir haben 30 Jahre Nachlaufzeit, was die bisher gespritzten Pestizide und ihre Metaboliten anbelangt. Wann sollen wir das verbieten – heute oder morgen? Wenn es vor dreissig Jahren mehr mutige Menschen gegeben hätte, dann hätten wir die heutige Problematik mit der Trinkwasserqualität nicht. Klar, man kann das Gift rausnehmen. Doch wer soll das bezahlen? Ist nicht so schlimm, man kann es noch stets trinken, ist ein Argument, das wir häufig hören. Aber wohin führt uns das Mehr an Betriebswirtschaftlichkeit und Wohlstand, wenn die Gesundheit weg ist? Wie wollen wir das der nächsten Generation erklären?
Welche anderen Themen sind Ihnen als Politiker wichtig?
Viele. Ich habe als alleinerziehender Vater vier Kinder grossgezogen. Neben den Themen Gesundheit und Ernährung denke ich an unsere Jugend, die Schul- und Studienabgänger etwa. Was haben die für Perspektiven? Ich denke an unsere alten Menschen, an die Palliativpflege zum Beispiel. Wollen wir unsere Altenpflegeheime bewirtschaften wie Parkplätze? Alt werden um jeden Preis? Ich denke an die Kranken – nicht nur wegen der Pandemie, für die heute Millionen gesprochen werden. 18 Jahre lang habe ich mein krankes Kind begleitet. Es hatte keine Chance. Schon vor 12 Jahren gab es Personalknappheit in den Spitälern. Ganze Abteilungen hat man um die Hälfte des Personals runtergespart. Es wurde nicht billiger deshalb. Das Personal hatte keine Zeit mehr für Zuwendung aus Kostengründen, Patienten mussten so schnell wie möglich raus, weil es nicht genügend Betten gab… Und wo stehen wir jetzt? Das alles hat seine Grenzen. Darum müssen wir heute mutige Entscheide treffen, mit denen wir in den Spiegel schauen können, die uns auf die Zukunft hoffen lassen.