Einblick in die Weinernte mit Bio-Weinpionier Bruno Martin
01. Oktober 2020
In Gold- und Rotschattierungen lässt die Sonne die Trauben im Rebberg durchs Blattwerk leuchten. Kugelrund sind sie geworden. Oberhalb von Ligerz am Bielersee eröffnen die Spätsommertage für Biowinzer Bruno Martin eine wichtige Zeit
.
Bilderbuchtage sind es und Rekordtage dazu. Am 8. und 9. September 2020 sind die Léon Millot, die Maréchal Foch und die weisse Solaris als erste reif für die Ernte. So früh wie noch nie. «Vor sechzehn Jahren hatten wir an einem 15. September mit der Sorte Maréchal Foch begonnen und unseren Rekord gebrochen», sagt Bruno Martin, «und wir haben diesmal die Ernte sogar hinausgezögert.»
Zwischen den Rebenreihen stapfen wir durch hohes Gras. Der Weinbauer erklärt: «Seit 2013, als die Kirschessigfliege zum grossen Problem wurde, hat man im Rebberg regelmässig alles abgemäht, weil festgestellt wurde, dass diesem asiatischen Gast die Trockenheit und die Hitze nicht behagen.» Er bedauert solche Massnahmen, die nützlichen Kleinlebewesen Nahrung entziehen und der Biodiversität schaden. Eine andere Möglichkeit gegen den Eindringling aus dem asiatischen Raum sei das Spritzen von Kalk, doch dann reiften die Trauben fast nicht, da sie das Sonnenlicht reflektieren, gibt er zu bedenken. In vielen seiner Parzellen ist der Bewuchs 20 bis 30 cm hoch. Das mögen einige Erntehelfer zwar nicht so gern, doch für die Biodiversität ist es gerade jetzt ein Plus.
Der Riesenhunger
Ab August beenden die Rebwurzeln ihr Wachstum. Sie bilden nun die Knospen für das kommende Jahr. Tage vor der ersten Lese stellte Bruno Martin beim Rundgang durch die Reben fest, dass die Insekten in die Trauben gingen. «Wo sie eine Rabatte fanden, mit Lavendel zum Beispiel, stürzten sie sich drauf, denn sie haben einen Riesenhunger.» Er schreibt dieses Phänomen einerseits der starken Trockenheit zu, andererseits der Gewohnheit, gegen Ende Sommer in den Privatgärten und Gemeindeanlagen oder an den Strassenrändern fast alles abzumähen. Es gelte diesbezüglich, besser zusammenzuspannen, regt er an. «Viele Landwirte mähen auch wegen der Mäuse und jammern, sie hätten zu viele davon. Warum, frage ich sie dann. Hast du keine Schlangen, keine Vögel?» Einmal mehr erinnert der Bioweinpionier daran, wie wichtig es ist, auf das Zusammenspiel zu achten zwischen Fauna, Flora und Boden. Alles hänge schliesslich voneinander ab. Bruno Martin trägt Sorge dazu, dass genügend mehrjährige Pflanzen den Insekten Lebensraum und Futter bieten. Es sind Pflanzen wie die wilde Möhre, die auch nach dem Mähen wieder blüht. Ihre Samen können überdies im Herbst die Vögel ernten. «Wir brauchen diese Vielfalt zwischen Hecken, Kulturflächen, Obstbäumen, Wurzelräumen usw., denn die Insekten brauchen blühende Pflanzen, und das nicht nur im Frühling. Im Spätsommer finden sie mit Glück durch Milben an einer Weide etwas Zucker, aber sonst haben sie es schwer.» Er zeigt auf eine Efeustaude, die seit Anfang September wieder in Blüte steht. «Oft ist diese Pflanze als Unkraut verpönt, doch sie ist äusserst wertvoll, denn sie bietet als erste und als letzte Nahrung für unsere Bestäuber.»
Reifen und reif sein
Mit den blühenden Reben beginnt für den Winzer im Frühling ein wichtiger Countdown. Er erklärt: «Es gibt eine mathematische Formel, die seit Jahrhunderten gilt, und auch die Klimaerwärmung hat diese Formel noch nicht gekippt. Wenn die Rebe in voller Blüte steht, notieren wir uns das Datum – 110 Tage später ist Zeit für die Ernte.» Seine pilzwiderstandsfähigen Sorten – die sogenannten PIWI-Trauben – reifen allgemein früh. Sie sind weniger anfällig, haben schon im August Zucker und braunes Holz, was sie resistenter macht gegen den echten Mehltau, der im August auftreten kann. Neben klimatischen Einflüssen, wie Trockenheit oder anhaltende Regenperioden, beeinflussen auch schlechtes Auslauben, Sturm, Hagelschlag oder die Essigfliege den optimalen Erntezeitpunkt. Das kann dazu führen, dass ein Winzer früher mit der Ernte loslegen muss. Aber optimale Reife, was heisst das genau? Waren früher noch möglichst viel Zucker und wenig Säure wichtig, gelten heute andere Kriterien. Bruno Martin: «Weil bei den Reben der Trend in Richtung spritzig, jung, nicht zu viel Alkohol geht, entscheidet man sich heute eher für eine Lese ein paar Tage früher. Auch auf die Temperaturen müssen wir achten. Damit die Weissen kühl in die Verarbeitung kommen und nicht sofort zu gären beginnen, wäre morgens um 4 bis 10 Uhr eigentlich die beste Zeit.» Bei ihm werden die Weissen bis Mittag geerntet und anschliessend gepresst. Am Abend sind die Roten dran. «Wir haben eine Verarbeitungszeit von fast 12 Stunden, denn wir verzichten auf Enzyme, Beschleunigungstechniken und auch auf künstliche Kühlung. Für mich passt das nicht zu Bio», so der Winzer.
50 Tonnen an die gute Hefe
Während vor einigen Jahren eher Weinkunden, Dorfbewohner oder interessierte Hobby-Erntehelferinnen und -helfer bei der Lese mitwirkten, arbeitet Bruno Martin heute mit den Profipflückern von Biolandwirt Stephan Brunner im Berner Seeland. Das Familiäre gehe dabei zwar etwas verloren. Früher sei es wie Ferien gewesen, wenn sie als Kinder hier beim Grosi schlafen und Trauben essen durften. «Trotzdem: Es ist und bleibt eine schöne Zeit, schliesslich ist es Erntezeit».
Nach dem Ablesen und Abbeeren verweilen die Trauben 12 bis 18, manchmal bis zu 24 Stunden zur Sedimentation im Tank. Dann wird der klare Saft abgezogen und fliesst in einen grösseren Behälter, wo er mit dem Filterhilfsmittel Kieselgur (Perlite) gemischt und ohne Maschinen klassisch abgesetzt wird. Bruno Martin: «Wir setzen etwa zwölf verschiedene Hefen an. Das sind Hefearten von unseren Reben in unserer Region, die sich seit 50 Jahren nicht gross verändert haben.» Am Ende einer solchen natürlichen Gärung setzt sich jeweils die vitalste Hefe durch. Er erläutert: «Viele Winzer haben in den letzten Jahren auf Naturwein mit Spontangärung umgestellt, was mit einem grossen Risiko verbunden sein kann. Anstatt mit 20 Tonnen auf gut Glück zu gehen, machen wir mit 20 oder 30 Kilo einen sogenannten ‘Ansteller’, damit wir bereit sind mit der richtigen Hefe, wenn die Ernte reinkommt.» Für seine mehrfach mit Goldmedaillen ausgezeichneten Weine setzt er deshalb auf gute vitale Hefe. Diese produziere eine reine Aromatik, viel Alkohol, aber keine Nebenprodukte wie «Kopfweh»-Schwefel oder solche, die durch Wasserstoffverbindungen zu Fehlgeschmack etwa führen können.
Von Oxydation und Schwefel
In den Kriegsjahren, als es viele Alkoholiker gab, die an Leberzirrhose litten, enthielt ein Durchschnittswein in Europa 450 bis 500 mg/Liter gebundenen Schwefel. Schon in den Reben wurde Schwefel zugegeben, denn der Saft durfte auf keinen Fall braun werden. Vor und nach der Gärung kam weiterer Schwefel hinzu. Bruno Martin arbeitet seit 38 Jahren ohne Konservierungsmittel, nah an der Natur. «Wir ernten kühl, arbeiten möglichst sauber, und wir lassen oxydieren. Die Natur- und Zuchthefen, die wir einsetzen, sind ohne grosses Risiko.» Kunden fragen ihn des Öfteren, warum bei seinen Flaschen Sulfit draufstehe. Dazu der Fachmann: «In jedem Traubensaft ist bereits Schwefel enthalten. Sulfit heisst nicht, dass zugesetzter Schwefel im Wein ist. Das, was man gegen Oxydation beisetzt, damit der Wein stabil bleibt, ist freie schweflige Säure. Sie schützt den Wein und verursacht keine Kopfschmerzen.» Jede Hefe könne Schwefel bilden, fügt er hinzu. Ein Naturwein, der mit schlechter Hefe gegoren sei, könne sich mit problematischen Stoffen binden, und je mehr gebundener Schwefel in einem Wein sei, desto schädlicher sei das für unsere Leber.
Im Keller von Biovin Martin werden die Fässer spundvoll gefüllt. Erst beim Abfüllen der Flaschen kommen ein einziges Mal 50 mg Schwefel hinzu. «Davon bleiben 35 mg übrig, weil wir sauber und kühl ernten und eine gute, natürliche Hefe verwenden. So kann nichts passieren», bekräftigt der Winzer. Reifen lässt er seine Weine bei 12 Grad im Karstfelsen des Juras. Sie brauchen keine Energiezufuhr für Kühlung, und dass es dort feucht ist, gefällt auch den Holzfässern. Ein wenig Tradition darf schliesslich sein bei einem gelernten Küfer. Auf schonende und energiesparende Verarbeitung achtet Bruno Martin übrigens bis zum Schluss: «Der Wein wird nur noch einmal bewegt – dann, wenn er in die Flasche kommt.»
Text und Bilder: Sabine Lubow
Fortsetzung folgt...
Bruno Martin in Ligerz BE tut seit über 25 Jahren viel für die Biodiversität – als Winzer auf seinem Betrieb und seit Herbst 2019 als Gewählter der Grünen im Berner Kantonsparlament. Was und wie? Wir wollen es genauer wissen. Wir haben diesen erfahrenen Bioweinpionier wiederholt besucht, um ihn zu verschiedenen Jahreszeiten in seinem Element zu begleiten. Dies ist der 3. Teil von insgesamt vier Folgen. Die ersten Beiträge verpasst? Hier erfahren Sie mehr über die Biodiversität auf dem Bio-Rebberg und hier geht es zum Interview mit Bio-Winzer Bruno Martin.