Neue gentechnische Verfahren: Warum wir darauf verzichten sollten

05. Juli 2023

Europäische Lebensmittel sind fast gentechfrei, mit Ausnahme von zwei Ländern, in denen eine Futtermais-Sorte angebaut wird. In der Schweiz gilt bis 2025 ein Gentechnik-Moratorium für Lebensmittel. Damit kommen Landwirtschaft, Industrie und Handel dem klaren Wunsch der Konsument:innen nach. In Umfragen lehnen 80% Gentechnik in Nahrungsmitteln ab¹.

Die Ernährungssicherheit ist dabei in Europa deutlich höher als in den gentech-freundlichen USA, wo 10% der Einwohner:innen auf Lebensmittelhilfe angewiesen sind, oder in Brasilien, wo mehr als ein Drittel der Einwohner:innen Hunger leidet.

Gentechnisch veränderte Nahrungsmittel könnten allerdings auch hier bald in aller Munde sein, wenn sich die aktuellen Vorschläge der EU-Kommission durchsetzen. Der Bio-Sektor ist dabei besonders betroffen, weil er die Risiken, Kosten und Kontrollen übernehmen muss, die bisher die Verursacher oder der Staat zu tragen hatten.

Was ist politisch zu erwarten?

Wie die EU-Kommission Anfang Juli 2023 will auch die Schweiz 2024 die neuen gentechnischen Verfahren (NGV) deregulieren. Bestimmte gentechnische Züchtungen sollen keine besondere Bewilligung, Risikobewertung, Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung mehr benötigen, und die Haftung des Herstellers entfällt. Das verfassungsmässige Vorsorge- und Verursacherprinzip wäre damit ausgehebelt.

Das klare Verdikt des Europäischen Gerichtshofs² würde ebenso übergangen wie die Überlegungen des Schweizer Bundesrats zu drei einschlägigen Postulaten³. Es soll zweierlei Recht für alte und neue gentechnische Verfahren geben. Paradox: im Biolandbau gelten alle solcherart gezüchteten Pflanzen als «genverändert». Egal ob sie mit alten oder neuen gentechnichen Verfahren gezüchtet wurden: ihr Einsatz bleibt verboten. Was wohl Gerichte dazu sagen werden? Rechtssicherheit sieht anders aus.

Versprechen und Realität

Nach 30 Jahren Gentechnik sind die stets gleichen Versprechen der Befürworter heute überprüfbar.

  • Weniger Pestizide durch Gentechnik: Die vier grössten Hersteller von Pflanzenschutzmitteln sind auch die grössten Saatgutproduzenten mit 62% Marktanteil weltweit⁴. Werden sie mit robusten Pflanzen ihr Pestizidgeschäft kannibalisieren? In Ländern mit Gentechnik ist denn auch häufig eine Zunahme des Pestizideinsatzes und eine Verteuerung des Saatguts zu beobachten, während die Probleme mit multiresistenten Schädlingen und Krankheiten zunehmen⁵.
  • Die regelmässig aktualisierte Liste des Bundesamts für Umwelt⁶ zeigt, dass auch mit NGV vorwiegend herbizidtolerante Gentech-Sorten in der Pipeline sind. Daneben überwiegen Sorten mit patentierbaren Eigenschaften: nicht-bräunende Salate, Tomaten mit Lifestyle-Inhaltsstoffen, Senf mit weniger Bitterstoffen. Widerstandsfähige Sorten werden weiterhin fast ausnahmslos auf klassischem Weg gezüchtet.
  • Klimaresilienz: Selbst wenn der Klimawandel auf Hitze und Trockenheit reduziert wird, hat die Gentechnik wenig Brauchbares geliefert. Die dazu gehörige Genetik ist schlicht zu komplex. Die reale Herausforderung ist ohnehin die zunehmende Unberechenbarkeit: sehr warmen Wintern folgen fatale Spätfröste, Starkregen, Stürme, Hagel, Hitzewellen und frühe Kälteeinbrüche. Nicht nur der Bio-Sektor begegnet den Herausforderungen mit der Diversifikation des Anbausystems. Monokulturen sind passé und werden durch clevere Fruchtfolgen ersetzt. Es werden Sortengemische angebaut. Agroforst spendet Schatten und bindet CO2. Widerstandsfähigkeit entsteht auch aus der sorgfältigen Pflege des Bodens. Bio-Boden enthält mehr Wurzelmasse, nimmt mehr Kohlenstoff und Wasser auf und ist biodiverser⁷.
  • Mehr Geschwindigkeit: Bis zur Marktreife benötigt eine Sorte weiterhin 12 bis 15 Jahre. Ein grosser Teil wird für Analysen und Planungen, agronomische Prüfungen, Vermehrung und Sortenregistrierung benötigt. Auch klassische Verfahren sind schneller geworden, zum Beispiel durch markergestützte Selektion und partizipative Züchtungsverfahren⁸. Aber Achtung: je schneller eine Sorte zugelassen wird, desto eher werden auch Risiken übersehen.

Pflanzen verstehen und respektieren, um erfolgreich zu züchten

Die Bio-Branche hat eine intensive Diskussion geführt, in der wissenschaftliche, ethische, ökologische und sozio-ökonomische Argumente geprüft wurden. Am Ende hat sich die Delegiertenversammlung von Bio Suisse einstimmig (!) gegen die Verwendung von gentechnischen Verfahren ausgesprochen.

Bio Suisse geht von einem systemischen Verständnis der Pflanzen aus. Pflanzen leben in enger Verbindung mit dem Boden und dem Bodenleben. Sie tauschen untereinander Nährstoffe und Informationen aus, sogar zwischen unterschiedlichen Arten. Sie warnen einander beim Auftauchen von Schädlingen, fahren gemeinsam Abwehrmechanismen hoch oder rufen mithilfe von Lockstoffen Nützlinge herbei. Pflanzen verfügen über Andockstellen für Pilze, die sie mit bestimmten Nährstoffen und Wasser versorgen und die im Austausch andere Nährstoffe erhalten.

Je nach Zusammensetzung des Bodenlebens sind Pflanzen robust oder anfällig gegenüber bestimmten Krankheiten und bringen mehr oder weniger Ertrag⁹,¹⁰. Mithilfe von epigenetischen Mechanismen geben Pflanzen Erfahrungen an die nächsten Generationen weiter, ohne dass sie in der DNA kodiert werden¹¹,¹². Viele Fähigkeiten der Pflanzen sind durch Nicht-Wissen, einseitige Zuchtziele und Verlagerung der Züchtung ins Labor und in die virtuelle Welt bereits verloren gegangen.

Bio-Züchtung will die Nutzpflanzen stärken, das Bodenleben und die Nützlinge fördern und auch das Unbekannte mit einbeziehen, indem Züchtung unter Bio-Bedingungen stattfinden muss. Züchtung wird als Dialog der Züchter:innen mit den Pflanzen in ihrer Bio-Umgebung verstanden – und als sorgfältige Fortsetzung der Arbeit von vielen Züchtergenerationen.

Daraus leitete die internationale Bio-Dachorganisation Richtlinien ab, die für Bio weltweit gelten:

  • Die Zelle und das Genom werden als unteilbare Einheit respektiert. Technische Eingriffe wie ionisierende Strahlung, Chemie oder Gentechnik sind nicht erlaubt.
  • Bei der Zucht muss die Auslese und Vermehrung der Sorten unter kontrolliert biologischen Bedingungen geschehen.
  • Die angewandten Zuchttechniken müssen offengelegt werden. Biologische Pflanzenzüchtungen können gesetzlichen Sortenschutz erlangen, dürfen jedoch nicht patentiert werden.
  • Die natürliche Vermehrungsfähigkeit der Pflanze wird respektiert und aufrechterhalten.

Blickt man durch diesen ethischen Rahmen auf die gentechnische Züchtung, springen die Verletzungen ins Auge. Diese findet steril im Labor statt. Die Pflanze wird in Einzelzellen zerlegt, ihrer Zellwand beraubt und in einem sterilen Medium künstlich ernährt. Nach einem technischen Eingriff in den Zellkern wird die Einzelzelle mit chemischen und physikalischen Kniffen wieder zu einer ganzen Pflanze hochgepäppelt und schrittweise wieder an die natürliche Umwelt gewöhnt. Zu beachten sind eine Unzahl von Patenten. Epigenetische Effekte und die Kommunikation der Pflanze untereinander und mit dem Bodenleben werden im Prozess komplett ignoriert.

Gerne wird auch ignoriert, dass mit CRISPR/Cas nicht nur die Artgrenzen überschritten werden, was in der aktuellen Cis-/Transgenetik-Diskussion als rote Linie gilt. CRISPR/Cas ist ein Bakterienmechanismus der künstlich in eine höhere Pflanze eingebaut wird¹³. Bakterien verteidigen sich mit dem CRISPR/Cas-Mechanismus gegen Viren, um ihr Genom intakt zu halten. CRISPR/Cas-Züchter machen in höheren Pflanzen das Gegenteil damit: sie umgehen deren Schutzmechanismen, um das Genom zu verändern.

Fazit für den Gesetzgeber

Mit der Gentechnik manipulieren wir den «Kern des Lebens» – nämlich die DNA im Zellkern. Noch haben wir längst nicht verstanden, wie das Leben funktioniert. Dies verpflichtet den Gesetzgeber zur Vorsicht. Hält er nicht am Moratorium fest, sollte er wenigstens das verfassungsmässige Vorsorge- und Verursacherprinzip umsetzen: die Risiken sind vor der Zulassung sorgfältig zu prüfen. Die Konsument:innen sollen mit Deklarationspflicht die Wahlfreiheit lassen, die Hersteller mit einem strengen Haftungsrecht im Pflicht genommen werden. Und Bio sollte stärker gefördert statt mit löchrigen Gesetzen gefährdet werden.

Bibliografie


¹BFS, «Umwelt Taschenstatistik 2020. 02 Raum und Umwelt». 2020.
²EuGh, «Rechtssache C-528/16: Vorlage zur Vorabentscheidung – Absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt», 25. Juli 2018. https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=204387&pageIndex=0&doclang=DE&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=24687170 (zugegriffen 26. Juni 2023).
³Bundesrat, «Regulierung der Gentechnik im Ausserhumanbereich. Bericht des Bundesrates in Erfüllung der Postulate 20.4211 Chevalley: Gentechnik. Welcher Geltungsbereich?; 21.3980 WBK-N: GVO-Moratorium. Belastbare Informationen als Grundlage für gute Entscheide; 21.4345 WBK-S: Züchtungsverfahren mit Genom-Editierungsmethoden», BAFU, Bern, BAFU-212.1-53180/13/2/10/5/10, Feb. 2023.
⁴P. Howard, «Recent Changes in the Global Seed Industry and Digital Agriculture Industries», Philip H. Howard, 4. Januar 2023. https://philhoward.net/2023/01/04/seed-digital/ (zugegriffen 26. Juni 2023).
⁵Heinrich-Böll-Stiftung, «Gentechnisch veränderte Pflanzen & mehr Pestizide», 12. Februar 2022. https://www.boell.de/de/2022/01/12/gentechnisch-veraenderte-pflanzen-mehr-pestizide (zugegriffen 27. Juni 2023).
⁶D. E. Gelinsky, «Neue gentechnische Verfahren: Kommerzialisierungspipeline im Bereich Pflanzenzüchtung und Lizenzvereinbarungen. Im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt (BAFU)», S. 105, Jan. 2022.
⁷J. Hirte u. a., «Enhanced root carbon allocation through organic farming is restricted to topsoils», Science of The Total Environment, Bd. 755, S. 143551, Feb. 2021, doi: 10.1016/j.scitotenv.2020.143551.
⁸P. Keijzer, E. T. L. van Bueren, C. J. M. Engelen, und R. C. B. Hutten, «Breeding Late Blight Resistant Potatoes for Organic Farming—a Collaborative Model of Participatory Plant Breeding: the Bioimpuls Project», Potato Res., Okt. 2021, doi: 10.1007/s11540-021-09519-8.
⁹F. Koechlin, Schwatzhafte Tomate, wehrhafter Tabak: Pflanzen neu entdeckt, Erste Auflage. Basel: Lenos Verlag, 2016.
¹⁰A. M. Wiemken, «Liste der Publikationen von Prof. em. Andres M. Wiemken, Universität Basel», Publications, 2023. https://duw.unibas.ch/de/personen/andres-m-wiemken/publikationen/ (zugegriffen 28. Juni 2023).
¹¹«Epigenetik», Wikipedia. 25. Mai 2023. Zugegriffen: 28. Juni 2023. [Online]. Verfügbar unter: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Epigenetik&oldid=234021429
¹²J. Düesberg, «Klein, aber oho!», Gen-ethisches Netzwerk e.V., 26. August 2022. https://www.gen-ethisches-netzwerk.de/genome-editing/wissenschaftskritik/262/klein-aber-oho (zugegriffen 28. Juni 2023).
¹³«CRISPR/Cas-Methode», Wikipedia. 27. Juni 2023. Zugegriffen: 28. Juni 2023. [Online]. Verfügbar unter: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=CRISPR/Cas-Methode&oldid=234972216

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