«Die Knospe wird noch strenger, klarer, ökologischer sein»

01. Oktober 2021

Wohin des Weges, Bio Suisse? Ein Gespräch zum ­40-Jahre-Jubiläum
mit Präsident Urs Brändli und Geschäfts­­führer Balz Strasser – über die nächsten vierzig Jahre.

Urs Brändli und Balz Strasser, Sie wollen einen konventionellen Bauern überzeugen, auf Bio umzustellen. Was sagen Sie ihm?
Balz Strasser: Ich sage ihm einfach, welche Konsequenzen eine Umstellung haben kann – und dass er es aus eigener Überzeugung machen soll. Überreden will ich niemanden.

Urs Brändli: Ja, wenn du jemanden «überschnurrst», wird er bald einmal unglücklich sein und seine Blacken doch spritzen wollen. Mein wichtigstes Argument ist, dass er zweimal profitiert: Er erzielt mehr Wertschöpfung und erhält mehr Wertschätzung.

Bio Suisse steht im Spannungsfeld zwischen der Vision vom Bioland Schweiz und pragmatischer Marktpolitik: Sie muss schauen, dass es ungefähr aufgeht mit Angebot und Nachfrage.
Strasser: Wir haben in den letzten Jahren nie einem Bauern oder einer Bäuerin gesagt, er oder sie dürfe jetzt nicht umstellen. Wir versuchen einfach zu zeigen, wo es Marktpotenzial gibt – und empfehlen vielleicht, mehr auf Beeren zu setzen und weniger auf Milch.

Brändli: Als Verband versuchen wir dafür zu sorgen, dass Angebot und Nachfrage in jedem Produktbereich im Gleichgewicht sind. Ideal ist sogar ein leichter Überhang bei der Nachfrage. Eine Umfrage bei den Biobetrieben von 2018 zeigte deutlich: Am wichtigsten ist für sie, dass sie ihre Produkte zu einem fairen Preis verkaufen können. Vor zehn Jahren haben wir eine Biooffensive gestartet, um für die Umstellung zu werben, weil die Nachfrage deutlich stärker wuchs als das Angebot. Seither wuchs beides etwa parallel. Sobald aber der Markt nicht mehr zieht oder es eine Umstellwelle gibt, kann das Marktgleichgewicht gefährdet sein.

Wenn Sie nur auf den Markt setzen, können Sie sich aber von der Idee vom Bioland Schweiz verabschieden.
Brändli: In vierzig Jahren wird unsere Land- und Ernährungswirtschaft sehr nachhaltig sein müssen, wenn wir unsere ­Lebensgrundlagen erhalten wollen. Bio wird einen wichtigen Teil dazu beitragen. Ob das dann alles unter «Bio» läuft oder Bio einfach ein Teil davon ist, überlassen wir den nächsten Generationen.

Strasser: Die Knospe wird noch strenger, klarer, ökologischer sein. Wir stehen ja heute vor verschiedenen Herausforderungen. Ich glaube auch, dass die gesamte Landwirtschaft öko­logischer werden wird.

Welche Herausforderungen meinen Sie?
Strasser: Heute werden männliche Küken von Legehennen noch getötet. Wir diskutieren gerade mit der Gesamtbranche, wie wir dort den Ausstieg finden. Und wir versuchen zu definieren, welches Klimaziel wir uns setzen wollen. Da möchten wir spezifische Massnahmen festlegen, auch für die einzelnen Betriebe.

Welche Wünsche haben Sie für die nächsten vierzig Jahre Bio-Knospe?
Brändli: Vor allem einen: dass es in Richtung wahre Kosten geht. Wenn wir unseren Konsum ohne Verbote nachhaltig gestalten wollen, geht das nur über wahre Kosten. Wenn die externen Kosten, die ein Produkt verursacht, Teil des Preises wären, würden konventionelle Produkte teurer. Fleisch würde wohl doppelt so teuer, und es würde weniger gegessen.

Strasser: Mein Wunsch ist, dass Bio verstärkt nicht nur die Ökologie betont, sondern auch das Soziale und die Ökonomie im Sinne einer fairen Wertschöpfung. Dass die Leute wissen: Hinter der Knospe stehen auch soziale Werte.

Im Abstimmungskampf zu den Agrarinitiativen ­wurde Bio Suisse vorgeworfen, dass sie auch über Preise spricht – und sich nicht verhält wie eine NGO, die sich nur an ­Idealen orientiert.
Brändli: Bio Suisse wurde vor vierzig Jahren von Idealisten gegründet. Die Biobauern vermarkteten alles selber oder via Biolädeli und kannten ihre Kundinnen persönlich. Die fast 7500 Biobetriebe von heute sind hingegen darauf angewiesen, dass Coop und Migros ihre Produkte verkaufen, relativ anonym. Durch diese Abhängigkeit von Verarbeitung und Handel erwarten unsere Mitglieder, dass wir uns wie eine Gewerkschaft für ihre Anliegen einsetzen.

Strasser: Es gab im Abstimmungskampf leider eine grosse Vermischung zwischen Produzentenpreisen und Margen im Handel. Dass die Biobauern faire und kostendeckende Preise für ihre Produkte bekommen, wünschen sich ja hoffentlich alle. Bio spielt eine sehr wichtige Rolle für die ganze Landwirtschaft in der Schweiz, denn wenn ein Knospe-Preis fair angesetzt ist, beeinflusst das auch die Preisverhandlungen bei anderen Labels. Es sichert die Produzentenpreise auf einem bestimmten Niveau. Die Margen in der Verarbeitung und im Detailhandel sind ein anderes Thema – über die Preisgestaltung in der gesamten Kette müssen wir in Zukunft wohl mehr reden.

Würden Sie rückblickend anders kommunizieren oder auch etwas anderes beschliessen nach der grossen ­Empörung von Konsumentinnen und Medien im Frühling?
Brändli: Stimmfreigabe zur Trinkwasserinitiative (TWI) hätte vielleicht weniger Empörung ausgelöst – wobei mir Demeter-Leute sagten, sie hätten auch wegen ihrer Stimmfreigabe empörte Rückmeldungen bekommen. Wir hätten die Parolenfassung frühzeitig besser erklären sollen. Aber ich halte unser Nein zur TWI weiterhin für richtig und auch ehrlicher. Ihr Ziel war ja, die Biolebensmittel mit Direktzahlungen zu verbilligen. Das ist ganz klar der falsche Weg: So würde sich Bio noch mehr in die Abhängigkeit der Politik begeben, und vielleicht würde eine solche Verbilligung auch noch den Foodwaste fördern. Schade ist, dass unser überzeugtes Ja zur Pestizidfrei-Ini­tiative völlig unterging. Aber schauen wir nach vorne: Setzen wir uns in Bern für eine neue Landwirtschafts- und Ernährungspolitik ein, die alle Akteure mitnimmt.

Im «Kassensturz» kam Ihre Position nicht sehr gut rüber.
Brändli: Ich wollte die TWI nicht schlechtreden, und das war schwierig: Du willst dich verteidigen, aber gleichzeitig das, was dich bedroht, nicht kritisieren. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir jetzt einen schlauen Weg finden zwischen dem Idealismus von früher und einer Werterhaltung von Bio als Mainstream von morgen. Viele Idealisten sagen ja, Bio dürfe nie Mainstream werden – aber wie sollen wir denn so zu einem Bioland Schweiz werden? Das ist ein Widerspruch in sich.

Strasser: Ich habe vor der Abstimmung schwierige Situationen erlebt: Produzenten, die sich anfeindeten, Konsumentinnen, die nicht mehr im Biohofladen einkaufen wollten. Handkehrum kenne ich einige IP-Produzenten, die nun auf Bio umstellen, von denen ich das nie erwartet hätte: weil sie merkten, dass es jetzt wirklich neue Ansätze braucht, etwa beim Pflanzenschutz.

Zum Schluss noch ein anderes Thema: Wo sehen Sie ­Forschungsbedarf?
Strasser: Spontan würde ich sagen: überall! Die etablierte Forschung hat viel zu lange nur auf die synthetischen Mittel gesetzt, die Bioforschung blieb marginal. Jetzt, mit den ganzen Möglichkeiten von Drohnen, Robotern und Digitalisierung, fangen grössere Konzerne an, in Methoden zu investieren, die auch für Bio interessant sind. Dann die Sortenzüchtung: Sie braucht dringend mehr Mittel – es ist unglaublich, wie viele kleine Organi­sationen da um jeden Franken kämpfen müssen.

Brändli: Dabei haben konventionelle Betriebe enorm von der Bioforschung profitiert: Wir haben im Abstimmungskampf gehört, dass über die Hälfte der in der Schweiz verwendeten Pflanzenschutzmittel für Bio zugelassen sind, bei den Spezialkulturen noch mehr.

Strasser: Ich sehe auch Forschungsbedarf im sozioökonomischen Bereich: bei Absatzmodellen und fairen Handels­beziehungen.

Brändli: Ja. Bio muss ein Vorteil sein für alle Seiten. Für den Bauern muss es sich lohnen, aber auch für die Konsumentin und für die ganze Wertschöpfungskette. Wie finden wir da ein faires System vom Acker bis auf den Teller?

Interview: Bettina Dyttrich, Redaktorin der Wochenzeitung WOZ.
Bild: Marion Nitsch (Präsident Urs Brändli (links) und Geschäftsführer Balz Strasser sind seit 2011 beziehungsweise 2018 an der Spitze von Bio Suisse.)

Die WOZ feiert im Herbst ebenfalls den 40. Geburtstag.

«Wer auf Bio umstellt, profitiert zweimal: Er erzielt mehr Wertschöpfung und erhält mehr Wertschätzung.»

Urs Brändli, Präsident Bio Suisse

 

«Ich möchte, dass Bio nicht nur die Ökologie betont, sondern auch das Soziale im Sinne einer fairen Wertschöpfungskette.»

Balz Strasser, Geschäftsführer Bio Suisse

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