Substanzen aus Verpackungen gelangen in Lebensmittel: «Das Ausmass wird unterschätzt!»

05. Februar 2018

Es ist ein komplexes Thema: Gemäss groben Schätzungen können rund 100 000 Substanzen aus Verpackungen in Lebensmittel gelangen. Davon sind neunzig Prozent nicht absichtlich zugefügt, so genannte «non intentionally added substances» (NIAS), die Analytik stösst an Grenzen. Gregor McCombie, Leiter der Abteilung Gebrauchsgegenstände & Gaschromatografie des Kantonalen Labors Zürich schlägt statt der Optimierung von Verpackungen nach Marketingaspekten ein intelligentes Design vor: Dabei gilt es, das Problem der Migration von Food-Contact-Materialien (FCM) wahrzunehmen, wo möglich zu vermeiden, soweit möglich zu reduzieren und evaluierte Stoffe für Verpackungen zu verwenden.


Gregor McCombie: Fast alle Lebensmittel sind eingepackt und stehen im Kontakt mit den Verpackungsmaterialien. Daraus können Substanzen in die Nahrungsmittel gelangen. Folglich nimmt jede und jeder mit seiner Nahrung auch Substanzen aus Verpackungen auf. Deshalb schlage ich eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung vor: auch bezüglich Marken und Verpackungen! So kann die Belastung verringert werden. Wichtig ist zudem der Faktor Zeit: Je länger ein Lebensmittel im Kontakt mit einer Verpackung steht, desto grösser wird die Belastung.

Persönlich habe ich kein Problem damit, bekannte Risiken einzugehen. Was mich jedoch stört: Die Unkenntnis des Ausmasses des Problems, so dass man gezwungen ist, ein unbekanntes Risiko in Kauf zu nehmen. Es ist ein Blindflug! Ich möchte deshalb die Industrie dazu ermutigen, das Risiko, welches von den so genannten Food-Contact-Materialien ausgeht, einzuschätzen und Massnahmen davon abzuleiten.

Aus welcher Verpackung migrieren besonders viele oder besonders schädliche Substanzen?

Vermeintlich unspektakuläre Fälle sind oft die interessantesten: Zum Beispiel Reis, der jahrelang in einem Karton lagert; oder eine Büchse Pelati. Die Büchse gehört einfach dazu, so dass wir sie schon gar nicht mehr richtig als Verpackung wahrnehmen. Diese Konservendosen haben jedoch ein sehr hartes Leben: Sie werden von der Tomatensauce angegriffen. Wären sie innen nicht beschichtet, würden sie rosten. Und diese Lacke der Innenbeschichtung, deren Zusammensetzung derzeit in einem grossen Wandel ist, enthalten zahlreiche bekannte und unbekannte Substanzen, die in die Nahrungsmittel gelangen können.

Glas beispielsweise scheint zwar inert, das Problem sind dort die Verschlüsse, welche im Fall von Konservengläsern oftmals Polyvinylchlorid (PVC) enthalten. Insbesondere bei öligen Inhalten, werden Substanzen aus den PVC-haltigen Deckeln ausgetauscht. Unerwünschte Stoffe gelangen so ins Nahrungsmittel, Grenzwertüberschreitungen sind häufig. PVC als Material kann man sich analog zu einem Badeschwamm vorstellen: Voller Wasser ist dieser elastisch, getrocknet aber starr. Als Weichmacher sind rund zwanzig Stoffe zugelassen. Im Kontakt mit ölhaltigen Lebensmitteln gelangen diese Weichmacher dann wie Wasser aus einem Schwamm aus dem PVC ins Lebensmittel, und das Öl wird anstelle des Weichmachers in die PVC-Struktur eingelagert.


Wo könnte man ansetzen, um das Problem der Migration von Substanzen aus Verpackungen in Nahrungsmittel anzugehen?

Auf jeder Stufe gibt es Verbesserungspotenzial: Beim Gesetzgeber, dem Vollzug und bei der Industrie. Beim Gesetzgeber müssen Massnahmen in Absprache mit der EU erfolgen, da die Gefahr besteht, dass Vorschriften, welche nur in der Schweiz gelten würden, als Handelshemmnisse aufgefasst würden. Im Vollzug müsste die Effizienz gesteigert werden bezüglich der Fragen, welche Stoffe migrieren und wie schädlich diese für Menschen sind. Viele der Stoffe werden unproblematisch sein, ein Teil jedoch könnte negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben.

Ein Problem ist, dass die toxikologische Einschätzung von Substanzen sehr teuer ist. Es müsste möglich sein, weniger und gut untersuchte Chemikalien einzusetzen und damit die Komplexität des Verpackungssystems zu reduzieren. Von 5000 Substanzen beispielsweise, die für die Herstellung von Druckfarben zugelassen sind, sind nur einige hundert evaluiert. Auch die Umweltforschung und -analytik könnte sich dem Thema Verpackungen mehr annehmen.


Welche Möglichkeiten sehen Sie für die Verpackung von Bio-Produkten?

Die Verpackung von Bio-Produkten muss wie alle Verpackungen den gesetzlichen Vorgaben entsprechen. Bio-Produkte werden in der Regel von Konsumentinnen und Konsumenten gekauft, die Wert auf natürliche und gesunde Nahrungsmittel legen. Deshalb könnte hier ein besonderes Bestreben für die Entwicklung von Verpackungen mit einer reduzierten Anzahl migrierender Substanzen bestehen.

Was raten Sie Lizenznehmern von Bio Suisse bezüglich Verpackungsmaterial?

Man kann eine Garantie vom Verpackungshersteller verlangen gemäss Artikel 49 der Lebensmittel- und Gebrauchsgegenständeverordnung LGV. Dieser verlangt, dass die verantwortliche Person im Rahmen ihrer Tätigkeit auf allen Herstellungs-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen dafür sorgt, dass die gesetzlichen Anforderungen eingehalten werden, insbesondere in Bezug auf den Gesundheitsschutz. Wichtig bei Garantien ist immer, auch das Kleingedruckte zu lesen: Nicht der Verwender soll prüfen müssen, ob die Vorgaben eingehalten werden, sondern der Verpackungshersteller. Das Einfordern von Garantien ist ein Beitrag zur Verbesserung der Situation. Auch bei Inspektionen legen wir Wert darauf.


Welche Art Verpackung werden wir in zwanzig Jahren nutzen?

Mein Wunsch ist es, dass das Risiko von Verpackungsmaterialien gebührend eingeschätzt wird. Im Grossen und Ganzen werden wir auch in zehn, zwanzig Jahren dieselben Verpackungen nutzen wie heute. Ich denke jedoch, dass diese aus weniger verschiedenen Substanzen bestehen werden.

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