Wie nachhaltig ist die Bio-Eierproduktion?

11. August 2022

Kurt Brunner ist Bio-Eierproduzent und der Meinung, dass wir weniger Eier essen sollten. Viel weniger. Dafür wünscht er sich, dass wir das Fleisch der Brüder der Legehennen und jenes der ausgedienten Legehennen selbst wieder als Delikatesse wertschätzen.

Vor fast 20 Jahren, als kaum jemand über die Problematik des Kükentötens in der Eierindustrie sprach, begann Kurt Brunner, die Brüder der Legehennen aufzuziehen, die üblicherweise gleich nach dem Schlüpfen getötet werden, da sie für die Eier-Produktion keinen Nutzen haben. Seither hat der Bio-Landwirt ein System mit Pionier-Charakter entwickelt und Wege aufzeigt, wie wir nachhaltig Bio- Eier und Hühnerfleisch produzieren können.

Hybrid-Hühner sind Leistungstiere

Heute sind Hühnerhalter:innen abhängig von weltweit drei Grosskonzernen, von welchen sie immer wieder neue Küken beziehen müssen, da sich die Hybrid-Hühner nicht für die Weiterzucht eignen.
Kurt Brunner setzt deshalb auf Zweinutzungshühner der Rasse der Australorp, die er mit Amrock kreuzt.

Warum Rasse und Futter untrennbar verbunden sind

2005 übernahm Kurt Brunner den Hof Looren in Wernetshausen im Zürcher Oberland. Zu diesem Zeitpunkt wurden dort nach Bio-Richtlinien 800 Legehennen für die Eierproduktion gehalten. Die Tiere gehörten zu den Legehybriden, eine auf maximale Legeleistung gezüchtete Kreuzung, die weltweit in der Eierproduktion eingesetzt wird – ausserhalb der Schweiz und der EU nach wie vor vorwiegend in Käfighaltung. Hybrid-Hennen legen etwa doppelt so viele Eier wie ein Huhn vor 70 Jahren – rund 300 Stück in einem Jahr. Aufgrund dieser enormen körperlichen Leistung sind die Tiere bereits nach einem Jahr «verbraucht» und müssen durch junge Legehennen ersetzt werden. Um diese Hochleistung überhaupt erbringen zu können, benötigen die Hennen energiereiches Futter auf Soja- und Getreidebasis. So hat die industrielle Hühnerzucht das Huhn vom genügsamen Reste-Verwerter zum Nahrungs-Konkurrenten des Menschen gemacht: Denn das moderne Huhn ist auf Futter angewiesen, das auch wir Menschen essen könnten und für dessen Anbau aufgrund der stetig wachsenden Nachfrage weltweit immer mehr Ackerfläche benötigt wird. Das ist sowohl ökologisch als auch ethisch problematisch.

Hochleistungstiere und Hochleistungsfutter – wieso Bio davon wegkommt

Weil Kurt Brunner seinen Hühnern kein Soja verfüttern wollte, stellte er auf weniger eiweissreiches Futter um. Diese Umstellung brachte allerdings ein Problem mit sich: Die Lege-Hybriden waren dadurch mit Nährstoffen unterversorgt und zeigten Mangelerscheinungen. Die Erkenntnis, dass Rasse und Futter untrennbar miteinander verbunden sind, dass Hochleistungstiere auch Hochleistungsfutter brauchen, prägte fortan die Arbeit des Hühnerhalters. Um nachhaltiger produziertes Futter einsetzen zu können, musste eine andere Rasse her. Eine, die sich aufgrund ihrer Genetik tatsächlich für eine extensive Haltung eignet. Kurt Brunner begann, selbst Hühner zu züchten und ersetzte nach und nach immer mehr Hybriden durch Zweinutzungshühner, wie sie früher auf jedem Bauernhof zu finden waren.

Zweinutzungshühner als Lösung gegen das Kükentöten

Während ein Hybrid-Huhn auf einseitige Leistung hin gezüchtet ist – je nach Linie legt es viele Eier oder setzt schnell viel Fleisch an – eignet sich das Zweinutzungshuhn sowohl für die Eier- als auch für die Fleisch-Produktion: Die Hennen legen Eier, die Hähne setzen ordentlich Fleisch an. Allerdings sind die Zweinutzungsrassen weniger produktiv als ihre überzüchteten Artgenossen: Sie legen weniger Eier als ein Lege-Hybrid und brauchen mehr Zeit, um die gleiche Menge Fleisch anzusetzen wie ein Mast-Hybrid. Dafür bringt das Zweinutzungs-Huhn einen entscheidenden Vorteil mit sich: Es löst die Problematik des Kükentötens. In der modernen Eierproduktion haben die Brüder der auf hohe Legeleistung gezüchteten Hennen nämlich keinerlei Nutzen: Sie legen keine Eier und setzen kaum Fleisch an. Deshalb werden männliche Küken nach dem Schlüpfen getötet. Auch dieser Missstand war ein Grund, warum Kurt Brunner schon früh auf das Zweinutzungshuhn setzte. Er zog die männlichen Tiere auf, schlachtete sie mit etwa 18 Wochen und verkaufte ihr Fleisch als Alternative zum üblichen Poulet. Auch das «normale» Poulet ist ein auf Hochleistung gezüchtetes Tier: Bereits mit 30 (konventionell) und rund 60 Tagen bei Bio erreicht ein Masthybrid sein Schlachtgewicht – das ist vier- bzw. zweimal schneller als vor 50 Jahren. Das extreme Wachstum in der konventionellen Haltung ist für die Tiere mit etlichen gesundheitlichen Problemen verbunden, etwa mit Knochendeformationen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Zurück zum Sonntags-Ei

Brunners langsam wachsende Zweinutzungshähne sind robust und gesund, brauchen aber doppelt so lange, bis sie schwer genug sind, um geschlachtet zu werden. Weniger Eier, eine längere Mastdauer – wie geht das auf? Kurt Brunner, der heute den Haldenhof in Hallwil (AG) leitet, spricht Klartext: «Wir müssen zurück zum Sonntags-Eii!». Das Ei dürfe kein billiges Alltagsprodukt sein, wir müssten es wie früher als Delikatesse für besondere Gelegenheiten verwenden und geniessen – entsprechend höher sollte sein Preis sein. Besonders problematisch findet Kurt Brunner die «versteckten» Eier: Heute kommen in vielen verarbeiteten Produkten Eier vor, dabei sei das meist gar nicht nötig – als Beispiel nennt er den Zopf. Als Bauer fühle er sich dafür verantwortlich, dass seine Mitmenschen auf der ganzen Welt genügend zu essen hätten. Deshalb gehe es für ihn nicht auf, dass wir Nutztiere mit Lebensmitteln füttern, die sich auch für den menschlichen Verzehr eignen würden. Man könne es drehen und wenden, wie man wolle: «Wenn alle Menschen auf der Welt genug zu essen haben sollen und wir die Natur nicht völlig zerstören wollen, dann müssen wir wegkommen von der industriellen Hühnerhaltung.» Und dafür kämen wir nicht darum herum, unseren Eier- und Poulet-Verbrauch deutlich zu reduzieren.

Das Huhn als Reste-Verwerter

Wie sieht eine nachhaltige Eier- und Hühnerfleischproduktion gemäss dem Bio-Landwirt denn aus? Ein erster wichtiger Schritt ist, dass die Hühnerhaltung standortangepasst in den Kreislauf eines Hofes eingebettet ist und das benötigte Futter idealerweise auf dem Hof selbst produziert wird. Auf diese Weise werden sich die Hühner-Bestände automatisch drastisch reduzieren – denn Hühner fressen ganz schön viel. Auch Kurt Brunner hält auf dem Haldenhof aktuell nur noch etwa 200 Hühner. Deren Futter produziert er zum grössten Teil selbst. Sein Ziel ist es, das Futter in Zukunft ausschliesslich aus Abgängen seiner Produktion zu gewinnen. Schon heute besteht knapp die Hälfte seines Futters aus hofeigenen landwirtschaftlichen Nebenprodukten wie z.B. dem Presskuchen aus der Sonnenblumenöl-Produktion, für die Getreideverarbeitung nicht geeignetem Bruchweizen oder Kleie. Für die ausreichende Eiweissversorgung bekommen Brunners Hühner die in der hofeigenen Käserei anfallende Molke, ausserdem selbst angebaute Lupinen. Klar ist für Brunner, dass wir von den Hybrid-Tieren wegkommen und auf Zweinutzungsrassen setzen müssen, so gäbe es keine getrennte Eier- und Fleischproduktion mehr. Dass die Zuchtarbeit zurück in die Hände der Bauern und Bäuerinnen gelangt, ist für Kurt Brunner ein weiterer zentraler Punkt.

Redaktion und Fotos: Anna Pearson

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