Philippe Martin ist der erste Brenner in der Schweiz, der einen Absinth mit der Knospe brennt.
Als Folge der Revision des Alkohol- und Lebensmittelgesetzes im Jahr 2005 ist der Absinth in den Verkaufsregalen wieder erlaubt. Den «Tee aus Boveresse», wie der Absinth auch genannt wird, gibt es nun in Knospe-Qualität zu kaufen. Ein Brenner aus genau dieser Ortschaft im Val-de-Travers hat als Erster die Zertifizierung von Bio Suisse für seinen auf den Namen «Bioveresse » getauften Absinth erhalten.
Jeder Produzent hütet sein eigenes Rezept
Das traditionelle Savoir-faire wurde in den Familien von Generation zu Generation weitervermittelt und überdauerte so die 100-jährige Prohibition. «Der Absinth setzt sich aus einem Dutzend schonend getrockneter Pflanzen zusammen. Ich verwende 8 bis 13, je nach Rezept», erläutert der Brenner. Vier davon kultiviert er im eigenen Garten, und zwar die beiden Beifussgewächse Echter Wermut (Artemisia absinthium) und Pontischer Beifuss (Artemisia pontica), auch Römischer Wermut genannt, ausserdem Zitronenmelisse und Ysop. Letzterer ist für die grüne Farbe verantwortlich. Verbreitet ist auch die Verwendung von Pfefferminze, Süssholz sowie dem Samen von Koriander, Fenchel, grünem Anis und Sternanis. Insgesamt befriedigen eine Handvoll Produzenten 80 Prozent der lokalen Nachfrage nach den wichtigsten pflanzlichen Zutaten. Die meisten der rund 40 Schweizer Absinthbrenner sind im Val-de-Travers angesiedelt.
Zertifizierung aus Überzeugung
Heute hat Philippe Martin alle Zertifizierungshürdenüberwunden. Er ist stolz darauf, seinen Kunden seit letztem September den «Bioveresse» mit dem Knospe-Logo anbieten zu können, auch wenn der Bioveresse erst vier Prozent seiner Jahresproduktion von 9000 Liter Absinth ausmacht. «Die Knospe-Zertifizierung habe ich nicht beantragt, weil etwa die Nachfrage auf dem Markt gross war, sondern aus Überzeugung, aus Liebe zur Natur», stellt der Neuenburger Brenner klar. Neben dem Verkauf von Absinth in Flaschen, direkt in der Brennerei oder in Spezialläden, setzt Philippe Martin einen Teil seiner Produktion über einen Glace-Produzenten und einen Chocolatier aus der Region ab.
Ein bitterer Brand
Philippe Martin destilliert mit zwei elektrischen Brennapparaten, die je 100 Liter fassen. Vor der Destillation wird die Pflanzenmischung während 15 bis 20 Stunden in Trinkalkohol eingelegt, und zwar direkt im Brennkessel. Der berühmte Thujongehalt (siehe Infokasten) darf 35 mg/kg nicht überschreiten. «Dieser Parameter ist schwierig zu handhaben, denn der Thujongehalt der Pflanzen schwankt mit dem Wetter. Ich muss ihn jeweils analysieren lassen», erklärt Philippe Martin. Es stellt sich die Frage, ob die grüne Fee, die inzwischen seit geraumer Zeit der Illegalität entflogen ist, durch ihre Legitimierung an Glanz verloren hat. Es sieht nicht danach aus, denn der Mythos, der sie umgibt, scheint intakt, der Reiz des Verbotenen, der ihr anhaftet, ist noch nicht ganz verflogen.
Die ersten Kundenrückmeldungen zum neuen Knospe-Absinth fallen jedenfalls positiv aus. Wer weiss, vielleicht lässt uns die noch grünere Fee – wohlverstanden mit Mass genossen – den Blick auf die Zukunft für ein paar Momente etwas rosiger erscheinen.
Webseite: www.absinthe-originale.ch
Den Absinth, der im Volksmund «la fée verte» oder «la bleue» genannt wird, umgeben viele Mythen. Insbesondere im Wermut (Artemisia absinthium) kommt Thujon vor, eine Substanz, die bei hoher Dosierung Krämpfe und Halluzinationen verursacht. Diese Wirkung wurde auch gesucht. So sprachen berühmte Dichter und Maler wie Baudelaire, Rimbaud, Toulouse-Lautrec oder Degas dem Absinth zu. Am Ende des 19. Jahrhunderts war der Absinth das billigste alkoholische Getränk. Er war der Schnaps des Volkes und wurde in grossen Mengen konsumiert. Im Jahr 1905 wurde ein Familiendrama mit tödlichem Ausgang den Wirkungen der grünen Fee zugeschrieben. Dieses Ereignis schlachteten die Prohibitionisten aus, um den Schnaps zu verteufeln, der den Winzern und den Deutschschweizer Brennern vor der Sonne stand. Eine Volksinitiative, die ein Verbot für Fabrikation und Verkauf von Absinth forderte, wurde im Jahr 1908 angenommen. Die grüne Fee wurde darufhin im Jahr 1910 in der Schweiz verboten und erst 2005 wieder zugelassen. Doch dank der Schwarzbrennerei im Val-de-Travers überlebte sie das Jahrhundert der Prohibition. Heute ist der Thujongehalt auf den gesundheitlich unbedenklichen Wert von 35 Milligramm pro Kilo begrenzt.
Text und Fotos: Christian Hirschi