Von der Hauptstrasse über einen kleinen Bach führt der Weg an Weiden mit Anguskühen und ihren im Gras liegenden Kälbern vorbei. Pascale Strauss sitzt am Steuer, Teamleiterin von rund 20 Kontrolleurinnen und Kontrolleuren der Bio Inspecta in der Nord- und Ostschweiz. Ihr Blick schweift über die Landschaft. Zur Vorbereitung hat sie die Betriebsdaten und Vorjahresresultate studiert. «Obwohl es mich manchmal reizt, besuche ich vor einer Kontrolle die Website eines Betriebs nicht», erklärt Pascale Strauss, «ich will mit einem unvoreingenommenen Blick auf den Hof kommen.» Sie erreicht den Biobetrieb der Familie Schreiber im aargauischen Wegenstetten nach der Mittagspause. Von Siesta ist hier aber keine Spur: Auf dem Reitplatz traben Pferde und vom Stall her kommt ihr bereits der Betriebsleiter Stefan Schreiber und sein mitverantwortlicher Sohn Silvan entgegen. Nach der Begrüssung erklärt Pascale Strauss den Ablauf der bevorstehenden Kontrolle, gestartet wird mit den Acker- und Wiesenflächen. Die Kontrolleurin und die beiden Landwirte steigen in die Autos und fahren zu einem Urdinkelfeld.
Knospe-Betriebe werden jährlich überprüft. Auf Betriebsbesuch zeigt die Kontrolleurin Pascale Strauss mit Klemmbrett, Stift und Checkliste ausgerüstet, worauf sie den Fokus legt.
Auf Augenhöhe begegnen
Pascale Strauss hört aufmerksam zu, wenn Stefan Schreiber von der Parzellengrenze und dem benachbarten Acker des konventionell arbeitenden Bauern erzählt. Sie überprüft die Pufferzone und fragt, wie sich der Biobauer vor Abdrift der Pflanzenschutzmittel schützt. «Mir ist ein Gespür für die Person wichtig, die vor mir steht», wird Pascale Strauss später sagen. «Die Haltung des Betriebleiters zu verstehen, ist grundlegend für die Kontrolle.» Sie lässt Stefan Schreiber darum den Raum, über seine Kulturen und seine Visionen zu reden. Mit ihrer langjährigen Erfahrung kann sie während des Gesprächs dennoch gezielt auf die Punkte zu sprechen kommen, die für ihre Kontrolle wichtig sind. Pascale Strauss greift geschickt Stichworte auf und fragt nach dem verwendeten Saatgut. Es ist die fünfte Saison, in der Pascale Strauss bei Bio Inspecta Kontrollen durchführt. Sie kennt die Situation auch von der anderen Seite: Mit ihrem Mann führt sie einen Knospe-Betrieb im zürcherischen Rickenbach. «Anfangs achtete ich penibel auf die Reihenfolge der Checkliste für den Rundgang», sagt sie. «Mit der Routine wurde ich flexibler. Mittlerweile weiss ich genau, welche Fragen ich klären muss und nutze dafür am liebsten die Situationen, die sich natürlich ergeben.»
Auf einer Weide kniet Silvan Schreiber und sucht nach den Sprösslingen des Waldstaudenroggens. Er und sein Vater testen laufend neue Anbaumethoden, hier einen beweideten Acker. Klappt alles wie geplant, werden die beiden Landwirte das Getreide hoch dreschen. Unten bleibt die Weide und damit die Bodenbedeckung stehen. «Der Boden ist das Wertvollste, was wir haben. Alles kann man ersetzen, sogar Tiere, aber den Boden nicht», fasst Stefan Schreiber zusammen. Beim letzten Halt auf dem Feldrundgang stehen die Kontrolleurin und die beiden Landwirte vor einer sattgrünen Kunstwiese. Für die ausgewogene Nährstoffversorgung nutzt Stefan Schreiber mittlerweile immer öfter kompostierten Hofmist statt Gülle oder Stallmist – ein gutes Stichwort für Pascale Strauss. Sie wird im Büro die Nährstoffbilanz und allfällige Nährstoffzufuhren genau überprüfen.
Zurück auf dem Hof, sind die Ställe an der Reihe. Stefan Schreiber hält Milch- und Mutterkühe. Die Tiere ernährt er ohne Kraftfutter und dank den standortangepassten gesunden Milchkühen kann er auf Antibiotika verzichten. Die wenigen Kälber und Jungtiere, die gerade nicht auf der Weide sind und stattdessen in den eingestreuten Boxen stehen, schauen den fremden Besucherinnen gespannt zu. Pascale Strauss lässt sich aber weder von den Tieren noch vom zügigen Tempo der Landwirte ablenken. Sie geht langsam durch den Stallgang und blickt dabei abwechselnd nach links und rechts, um alles im Auge zu behalten. Ihr ist wichtig, den Landwirtinnen und Landwirten Respekt zu zollen. «Darum frage ich immer zuerst, bevor ich eine Futtertonne oder einen Medikamentenschrank öffne», betont Pascale Strauss und ergänzt: «Es gehört natürlich zu meiner Pflicht, alles zu überprüfen.»
Der Abschluss des Rundgangs ist der Pensionspferdestall, ein helles Gebäude mit Einzel- und Gruppenhaltung. Die Schreibers sind begeisterte Westernreiter und führen eine Zucht mit Freibergerpferden. Der Grossteil der Tiere im Stallsind allerdings Pensionspferde. In der Biolandwirtschaft eine besondere Herausforderung: Die Betriebsleitenden müssen die Pferdebesitzerinnen informieren über die verbotenen Mittel wie Insektizide in Mückensprays. Zudem dürfen individuelle Nahrungszusätze oder Kraftfutter der Privatpferde nicht mit dem Hofbetrieb vermischt werden.
Warum die Knospe so strenge Richtlinien hat
Höchste Konzentration im Büro
Im Hofcafé richtet sich Pascale Strauss schliesslich mit ihrem Laptop ein, Stefan Schreiber reicht ihr einen dicken Ordner mit den Betriebsunterlagen. Die Landwirte sitzen der Kontrolleurin gegenüber. Damit sie immer sehen können, was Pascale Strauss am Laptop geöffnet hat, stellt sie ihnen ein grosses Tablet hin, das ihren eigenen Laptopbildschirm spiegelt. Etwa zwei Stunden tippt Pascale Strauss konzentriert Daten ein, rechnet nach und vergleicht Formulare mit Lieferscheinen und Checkliste. Jedes Jahr gibt Bio Suisse spezielle Fokusthemen vor, aktuell sind es Verpackungsmaterial, Weide bei Geflügel und die Lohnverarbeitung. Bei diesem Betrieb betrifft das hauptsächlich die Metzgerei, die das Fleisch für die Direktvermarktung verarbeitet. Ab und zu stellt Pascale Strauss eine Frage an die Landwirte oder bittet um einen weiteren Beleg. Sie lobt die Betriebsleitenden für die gute Vorbereitung, so komme sie trotz vieler zu prüfenden Unterlagen schnell vorwärts. «Eine gewisse Anspannung spürt man bei der Kontrolle immer», gibt Stefan Schreiber zu, der seit 26 Jahren Biobauer ist. «Mir ist auch schon passiert, dass ich ein Kreuz an der falschen Stelle gemacht habe. Die Reaktion von der Biokontrolle kommt dann prompt.» Das sei aber auch richtig so, denn nur mit hohen Standards könne eine Marke wie die Knospe ihre Qualität hochhalten.
Mittlerweile hat sich auch Helene Schreiber zu Mann und Sohn gesellt. Die Kontrolleurin überprüft mit Helene Schreiber die Direktvermarktung im Hofladen, für diesen Betriebszweig ist sie zuständig. Pascale Strauss schaut stichprobenhalber das Rezept für das Bauernbrot an, schätzt die verarbeitete Menge und vergleicht mit dem Lieferschein. Nach fünf Stunden auf dem Hof schliesst sie den Kontrollbericht ab und geht die wichtigsten Punkte nochmals durch. Das Betriebsleiterpaar kann sich zurücklehnen: Pascale Strauss hat keine Mängel auf dem Betrieb festgestellt, erinnert aber bereits an die Kontrolle im Folgejahr, denn da wird die Wartefrist einiger importierter Tiere überprüft. Sie weist darauf hin, dass sich die Betriebsleitenden innert drei Tagen melden können, falls sie mit dem Inspektionsbericht nicht einverstanden sind. Helene Schreiber möchte das Dokument auf dem Tablet unterzeichnen, doch das ist als Linkshänderin gar nicht so einfach. Nach mehreren erfolglosen Versuchen signiert ihr Mann. «Die Unterschrift ist denn auch das Schwierigste gewesen an dieser Kontrolle», lacht Pascale Strauss.
Einblicke in die Bio-Kontrolle mit Pascale Strauss
Pascale Strauss ist Regionalleiterin von rund 20 Kontrolleurinnen und Kontrolleuren bei der Bio Inspecta der Region Nord- und Ostschweiz. Sie führt jährlich rund 50 Kontrollen durch und schätzt besonders den Einblick in die Lebenswelt der Landwirtinnen und Landwirte wie auch den Austausch mit ihnen. Pascale Strauss bewirtschaftet zudem mit ihrem Mann einen Biobetrieb im Zürcher Weinland.
Text und Foto: Aline Lüscher, publiziert im Bioaktuell 05/2021