«Unsere Arbeit muss weitergehen»

27. August 2019



Den Chefplatz in der grossen Saatgut-Scheune und auf den Feldern von Feldbach mit Blick auf den Zürichsee hat er ein Jahr vor der Pensionierung geräumt. Doch keine Frage: Der Pionier, der seit Jahrzehnten unablässig für die Zukunft sät und forscht, bleibt sowohl der Scholle als auch der Bio-Zuchtgemeinde erhalten. Gespräch mit Peter Kunz zu 35 Jahre Getreidezüchtung.


Sie haben eine der führenden Züchtungsorganisationen der Bio-Landwirtschaft aufgebaut. Sieben von zehn Bio-Broten in der Schweiz sind aus Ihren Sorten gebacken. Die Nachfolge im 10-Personen-Betrieb ist geregelt, die Firma gut aufgestellt. Was nun?

Hier in Feldbach stehe ich auf Anfrage weiterhin zur Verfügung, leite Workshops, begleite Projekte in Italien, bin in der Ausbildung tätig, zum Beispiel in Sekem in Ägypten, schreibe Artikel, engagiere mich im Fonds für Kulturpflanzenentwicklung.
Viel bleibt zu tun. Einige Ideen rund um unser bewährtes Kommunikationsinstrument «Zukunft säen» möchte ich weiter ausbauen, um Firmen in die Finanzierung der Züchtung einzubinden. Das ist die grösste Krux.


Finanzierung bleibt ein schwieriges Thema?

Es ist schön, was wir hier haben, aber es reicht lange nicht. Die Studie «Saatgut als Gemeingut», an der ich beteiligt war, zeigt auf: Bio-Züchtung muss in den nächsten zehn Jahren zwanzigmal mehr werden! Europa macht 50 Milliarden Umsatz mit Bio. Nur ein Promille davon würde reichen, um die Bio-Züchtung europaweit voranzutreiben! Das Geld dazu brauchen wir, denn die neuen Methoden mit der Gentechnik kommen. Und die sind ohne ganzheitlichen Ansatz.

Der wäre?

Gentechnik verändert punktuell etwas, das Auswirkungen in den Details hat. Wir verfolgen einen anderen Ansatz, indem wir die Frage stellen: Welche Pflanzen können am besten mit den vorhandenen Gegebenheiten, wie Boden, Klima, Standort usw., umgehen? Wir arbeiten mit den Voraussetzungen eines bestimmten Ortes, eingebettet in ein Ökosystem, um die besten Sorten für die Bio-Landwirtschaft zu finden. Sei das hier, in Deutschland, Italien oder in der ägyptischen Wüste…


… Boden-ständig sozusagen…

Wir haben in den letzten fünfzig Jahren gelernt, dass es ein Ökosystem gibt - heute sprechen wir von Klimawandel. Wir begreifen diese Ganzheit jedoch immer noch nicht. Die grösste Herausforderung ist, damit umzugehen. In der biodynamischen Landwirtschaft und Züchtung versuchen wir das. Der Bauer tut das möglichst gut, indem er seinen Betrieb gestaltet unter den gegebenen Bedingungen, seiner sozialen Einbettung. Unsere Art, wissenschaftlich darüber zu denken, zerstört dies immer wieder, wenn wir nicht aufpassen. Das Anliegen brennt mich immer noch. Das müssen wir zu formulieren lernen, uns gegenseitig klarzumachen, was unser Anliegen ist. Auch wir müssen uns darüber verständigen, was wir unter biologischer Landwirtschaft verstehen.


35 Jahre GZPK: Worauf sind Sie am meisten stolz?

Einerseits, dass unsere Weizensorten in der Praxis ankommen, dass die gesamte Wertschöpfungskette mit Bauern, Müllern, Bäckern zufrieden ist bis hin zu den Kunden, die gutes Brot bekommen. Andererseits freut mich, dass der Betrieb hier so ist, wie er ist und gut läuft. Züchtung ist ein langfristiges Geschäft mit jahrelangem Aufbau. Man muss die Pflanzen kennen. Ich merke das auch jetzt bei der Übergabe: Es braucht Jahre, um da richtig reinzuwachsen.


Woran beisst sich der Pionier weiterhin die Zähne aus?

An zwei Dingen: Notwendigkeit und Bedeutung der Biopflanzenzüchtung sind zwar erkannt, doch fehlen uns Züchtern die Grundlagen für einen gewissen Freiraum. Mit Bio wird viel Geld verdient, die Bio-Szene aber ist oberflächlich geworden, hat sich verwässert. Von der Stimmung der einstigen Weltverbesserer spüre ich nicht mehr viel. Prioritäten, die Motivation für effektives, gemeinsames Anpacken haben sich verschoben. Diese Entwicklung bereitet mir Mühe.

Das andere betrifft die Qualitätsforschung. Die müssen wir auf ein höheres Niveau bringen. Wir haben Bio-Weizensorten gezüchtet mit einem völlig anderen Charakter als die konventionellen. Sie sind gut und qualitativ sogar besser. Wenn wir das auf dem Feld zeigen, können es die Leute sehen. Dass das am Produkt selbst aber nicht erkennbar sein soll, beschäftigt mich. Wir haben es noch nicht geschafft, diese Qualität so zu vermitteln, dass die Lebensmittelqualitätsforschung dieses Thema aufgreift und die gesamte Wertschöpfungskette es besser sichtbar macht.


Bis zu 20 Jahren kann es dauern von der ersten Kreuzung des Saatgutes bis eine neue Sorte im Markt etabliert ist. Warum so lange?

Wir arbeiten mit der klassischen Methode, nehmen keine Abkürzungen mit schnellen Pflanzengenerationen. Der genetische Prozess nach einer Kreuzung bei einem Selbstbestäuber wie dem Weizen dauert erstmals etwa sieben Jahre. Erst dann kann die Linie einer Ähre selektiert werden, wenn sie immer wieder dasselbe ergibt. Dabei bin ich geblieben. Denn der Weizen ist eine Pflanze, die sich extrem stark mit dem Boden verbinden muss.

Bei Gemüse oder oberflächlicher wurzelndem Mais ist das anders. Für den Züchter ist jedes Jahr eine wertvolle Erfahrung. Es geht nicht nur darum, die Besten zu finden und zu einer Sorte zu machen - alle anderen, die wegfallen, gehören auch zur Erfahrung. Das alles muss wachsen, es braucht Zeit zum Kennenlernen einer Pflanze, bis man merkt, dass sie wirklich gut ist. Es kommen heute Sorten auf den Markt, die nach vier Jahren Entwicklungszeit bereits durch die offizielle Prüfung gehen. Wir machen jedes Jahr Kreuzungen, lernen aber die Pflanzen immer wieder auf eine andere Art kennen. Diese Hintergrunderfahrung ist für den Züchter das eigentliche Kapital.


Was charakterisiert denn eine gute Sorte?

In der Züchtung ist wichtig, dass eine Pflanze jedes Jahr draussen im Boden wächst, den realen, aber auch extremen Bedingungen ausgesetzt ist und mit ihrem Umfeld interagiert. Unsere Pflanzen wechseln höchstens mal den Standort von Feldbach nach Rheinau, aber sie wachsen immer auf einem biodynamischen Betrieb. Das macht auch einen Teil ihrer Sortenstabilität aus: Man versetzt sie nicht von einem Ort oder Land zum anderen, mal ins Gewächshaus oder in den Topf. Das ist essentiell. Dafür habe ich keine harten Fakten, doch ich bin überzeugt, dass es so ist. Bei vielen konventionellen Sorten sieht es am Anfang gut aus, aber nach fünf Jahren sind sie wieder weg. Unsere Hauptsorte Wiwa ist nach fünfzehn Jahren noch da, sie hat sich bewährt, die Bauern kennen sie, sie ist gesund. Je besser eine Sorte, umso länger bleibt sie bestehen.


Braucht der Bio-Landbau eigene, starke Sorten, um von der konventionellen Züchtung unabhängig zu sein?

Bei den Grundnahrungsmitteln wie Getreide gehört das heute dazu. Beim Gemüse diskutieren wir immer wieder darüber, denn im Anbau sieht die Sache anders aus. Hier kommen nach wie vor die grossen Saatgutmultis zum Zug. Die Frage stellt sich: Warum nur wollen so viele Bio-Konsumenten weiterhin standardisiertes Gemüse – dem Geschmacksvergleich hält es nicht stand. Warum schafft man es nicht, echte Bio-Qualität zu den Konsumenten zu bringen…


Womit könnten Konsumenten einen Beitrag leisten?

Indem sie nachfragen, woher die Rüebli oder die Brokkoli effektiv kommen – nicht nur, wo sie gewachsen sind, wer sie angebaut hat, sondern auch, wer sie gezüchtet hat. Denn mit dem Geld für ihr Gemüse zahlen sie auch Monsanto oder Syngenta. Die kassieren ihr Riesengeld von den Bauern und den Gemüsegärten, investieren aber nur einen kleinen Teil davon wieder in die Sortenzüchtung. Der Grossteil geht an die Aktionäre.


Welche Kriterien sind ausschlaggebend, dass eine neue Sorte gezüchtet werden soll?

Beim Getreide brauchen wir Sorten, die stabil sind und jedes Jahr einen guten Ertrag von gesunder Qualität erbringen. Über die Jahre verändern sich die Kriterien dafür: Hitzetoleranz, Wassermangel, Krankheiten, Verträglichkeit. Da muss ich als Züchter darauf achten, welche Eltern ich auswähle, damit ich solchen Kriterien entsprechen kann. Stärkeres Wurzeln der Pflanze hat einen Einfluss bei Trockenheit, ihr spätes Abreifen auf die Hitzetoleranz zum Beispiel. Als Züchter muss ich die Grundkonstitution einer Pflanze kennen und wissen, was ausschlaggebend ist, damit sie gut wächst, auch mit extrem feuchten Situationen auskommen kann, wie wir sie zum Beispiel 2016 hatten.


Wo sehen Sie den grössten Handlungsbedarf?

Wir müssen schauen, dass sich mehr Menschen mit dem Thema Züchtung beschäftigen können. Es reicht nicht, nur beim Weizen erfolgreich zu sein. Wir müssen uns mehr austauschen, besser zusammenarbeiten. Dazu braucht es eine Züchtergemeinschaft. Wir müssen lernen, unsere Arbeit zu beschreiben und zu vermitteln, denn sie muss weitergehen. Züchtung ist kein kurzfristiger Job. Mit jedem Jahr verbindet man sich mehr damit. Es ist wie beim Lehrer: Wenn er wirklich gut ist, bleibt er dabei, wird mit den Jahren immer besser und sicherer.


Stichwort Zusammenarbeit: Wie gelingt die in der Saatgutforschung?

Zwischen Konventionellen und Bio haben wir hier in der Schweiz eine gemeinsame Sprache gefunden. Auf gewissen Ebenen. Man muss sich tatsächlich austauschen, sich gegenseitig besuchen, Zeit nehmen. Wenn aber gerade wichtige Dinge auf dem Feld oder im Zuchtgarten zu sehen wären, fehlt leider oft die Zeit, weil jeder mit seinem eigenen Weg beschäftigt ist.

Auch die finanzielle Sicherung macht es nicht einfacher, weil jeder darum kämpfen muss, dass er seinen Anteil erhält. Bei prekärer Finanzierung ist der freundliche Umgang unter Konkurrenten schwierig. Denn: In einem gut angelegten Züchtungsprozess geht es laufend weiter. Man sucht jahrelang in jeder Generation die Besten aus, sät sie im Folgejahr erneut. Und kein Jahr gleicht dem anderen, manchmal ist es viel, manchmal weniger. Ich kann also nicht 20% weniger säen oder einfach zwei Jahre aussetzen, weil ich 20% weniger Geld habe. Es braucht Kontinuität, auch in der Finanzierung.


Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Verständnis für die Züchtung - nicht nur bei den Konsumenten, sondern bei allen Partnern in der Wertschöpfungskette, die dafür arbeiten, dass die Versorgung unserer Bevölkerung gewährleistet ist. Verständnis dafür, dass es Züchtung braucht und dafür, was sie leistet. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage: Arbeitet die Saatgutfirma tatsächlich im Sinn biologischer Landwirtschaft und dient sie dabei allen Partnern? Bei den grossen Händlern und Verarbeitern wird auch in der Bio-Szene dieses Verständnis erst kommen, wenn die Konsumenten Transparenz einfordern. Dann wäre ein grosser Schritt gemacht. Das ist wie mit dem Bankgeheimnis.



Meilensteine Peter Kunz

1976

Idee für eigene Züchtung im Bio-Landbau entsteht in Göppingen D beim Bio-Pionier Ernst Weichel.

1981

Mitarbeit bei Agroscope Reckenholz-Zürich

1984

Erste Kreuzungen in Teilzeitarbeit; nebenbei Aufbau eines selbständigen Züchtungsprojekts.

1992

Firmengründung GZPK

2000

Überführung der Firma in den gemeinnützigen Verein für Kulturpflanzenentwicklung

2018

Leitungsübergabe GZPK an Monika Baumann und Herbert Völkle






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