Seit über 30 Jahren engagiert sich die Familie Zollinger für den Erhalt der Sortenvielfalt im Garten. Hinter jeder ihrer 450 Sorten steckt aufwändige Züchtungsarbeit.
Trotz des nahenden Frühjahrs liegt das Rohnetal noch im Winterschlaf. Einsam, mitten auf der Ebene steht das Gehöft der Familie Zollinger. Weit dahinter am Horizont lässt sich die Rohne-Mündung in den Genfersee erahnen. Das Haus scheint unbewohnt, die Treibhäuser sind leer, die Böden brach. Unermüdlich rüttelt der scharfe Wind an den alten Fensterläden und bläst gegen die Plastiktunnels. Auf diesem Stück Land hatten sich vor bald 30 Jahren Christine und Robert Zollinger niedergelassen, um Saatgut zu vermehren. Sie wollten damit die Sortenvielfalt in den Schweizer Gärten erhalten und Gegensteuer geben zur modernen Hybridzüchtung der Agrarindustrie. Ist ihr Plan etwa gescheitert?
Der Schein trügt. Wie die ausgetrocknete Hülle eines Samen das Leben einer ganzen Pflanze – ja, die Zukunft einer ganzen Pflanzenart – in sich trägt, verbergen die Steinmauern des alten Hofes die Vorbereitungen auf eine neue, blühende Gartensaison: Im Erdgeschoss verpacken, datieren und etikettieren fleissige Hände die Saatgutlieferungen, während ein Stockwerk weiter oben kluge Köpfe über den Anbau- und Züchtungsplänen brüten. Es sind die Söhne von Christine und Robert Zollinger, die vor 3 Jahren das Zepter in Les Evouettes übernommen haben: Tulipan, Tizian und Til Zollinger, der Genetiker, der Pflanzenzüchter und der Betriebswirtschafter. Auch Falc, der jüngste Zollinger, möchte nach seinem Gartenbau-Studium ins Familienunternehmen einsteigen.
Saatgutvermehrung ist kein Kinderspiel
Süsse Tomaten und bitterfreie Gurken
«Selektion» ist aber schneller gesagt als getan. Die Gebrüder Zollinger müssen dafür ihre Pflanzen – also 250 mal 100 bis 200‘000 Individuen – von jung auf beobachten, alles notieren, einige Arten ausgraben und wieder eingraben oder mit der Erde verpflanzen. «Die schlechtesten Pflanzen, etwa 10 Prozent, entfernen wir und die allerbesten 5 Prozent verwenden wir für das Basissaatgut, das wir zur Vermehrung im nächsten Jahr selbst wieder aussähen werden», erklärt Til Zollinger. Die Samen der restlichen 85% Pflanzen kommen in den Verkauf.
Winterblumenkohl aus eigener Züchtung
In den 80er Jahren, als die alten Gemüsesorten nach und nach aus den Gärten und Feldern verschwanden, begannen Christine und Robert Zollinger besorgt um den laufenden Verlust im Thurgau Saatgut zu vermehren. Aus der kleinen Samengärtnerei wuchs ein stattliches Familienunternehmen heran, das mittlerweile in zweiter Generation von den Söhnen Tulipan, Tizian und Til Zollinger auf dem 30 Hektaren grossen Betrieb in Les Evouettes geführt wird. Rund 450 bewährte Pflanzensorten umfasst der aktuelle Katalog, jährlich kommen Neuzüchtungen und Wiederentdeckungen dazu. www.zollinger.bio
Wie biologisch kann Saatgut sein?
Im Biolandbau darf kein gentechnisch verändertes und kein mit Fungiziden und Insektiziden behandeltes Saatgut verwendet werden. Über diese allgemeine Bio-Vorschriften hinaus fordern die Richtlinien von Bio Suisse, dass Biobauern wenn immer möglich Saatgut verwenden, das auf Biobetrieben vermehrt worden ist. Zudem soll das Saatgut möglichst aus «biologischer Pflanzenzüchtung» stammen. Darunter versteht Bio Suisse die Züchtung neuer, speziell auf den Biolandbau ausgerichteter Sorten; etwa Sorten, die auch unter kargen Bedingungen einen guten Ertrag liefern. Zudem dürfen diese Sorten nicht mit künstlichen Eingriffen in die Zelle gezüchtet werden. Bio Suisse setzt sich politisch und mit Fördergeldern dafür ein, dass der Landwirtschaft künftig mehr Sorten aus «biologischer Pflanzenzüchtung» zur Verfügung stehen.