„Die körnige Textur des Produktes lässt auf einen Fehler im Produktionsablauf schliessen“, tönt es von Tisch vier, an dem die Profis für Milchprodukte sitzen. „Die Orangenzeste wurde zu tief abgerieben, das gibt der ganzen Masse eine bittere Kopfnote“, meint der Spezialist für Konditoreiprodukte an Tisch zwei. Die Produkteverkostung für die Bio-Gourmet-Knospe 2016 ist in vollem Gang. 22 Verkostungsexperten sitzen an vier Tischen und halten ihr Nasen an die Produktemuster oder lassen kleine Stücke davon im Gaumen wirken. An diesem sonnigen Samstagmorgen Mitte Juli sind sie auf dem Wallierhof in Riedholz SO zusammen gekommen, um die besten Schweizer Knospe-Milchprodukte und Backwaren zu finden. Unter Ihnen sind Profis aus dem Bereich Milchverarbeitung, Eisherstellung und Konditorei. 68 Produkte müssen ihrem scharfen Urteil Stand halten und werden beschrieben und benotet.
„Guten Geschmack kann man lernen“, sagte bereits der Schweizer Aphoristiker Paul Schibler. Am Vorabend haben sich Jury und Helfer von Bio Suisse in der schmucken Barockstadt Solothurn getroffen, um den Ablauf und die Anforderungen an die Jurierung noch einmal akribisch durchzuchecken.
In der Solheure-Lounge, direkt an der Aare, gibt der Food-Journalist und Sensoriker Patrick Zbinden ihrer sensorischen Wahrnehmung und Ausdrucksfähigkeit den letzten Schliff.
Um ihren Job werden sie gerne benieden, wer möchte beim Vergleich verschiedener Qualitäten von Schokolade oder der Degustation exquisiter Obstbrände nicht auch dabei sein. Was verlockend tönt, ist eine anspruchsvolle Aufgabe - das Geschmackserlebnis muss beschrieben werden, die Verantwortung des Urteils lastet auf den Schultern der Verkoster. Über die Ausdrücke, im Fachjargon Attribute, die verwendet werden können, um ein Produkt zu beschrieben, gibt es zahlreiche Bücher. Während Ausdrücke wie „fein“, „gut“ oder „lecker“ einen Sensoriker „zum Kochen“ bringen, erfreuen ihn Bezeichnungen wie „körnige Textur“, „bittere Kopfnote“ oder „intensiver Abgang“. Nach dem letzten Schliff der Sinne und Ausdrucksfähigkeit war die Gruppe bereit für den folgenden Tag.
Die Helfer begannen bereits frühmorgens, die Proben bereit zu stellen und zu anonymisieren. Die von den Herstellern eingesandten Produkte wurden in neutrales Geschirr abgefüllt und mit einem Code versehen. Dieses Vorgehen erlaubt es, die Probe zu bewerten, ohne dass der Hersteller ersichtlich ist. Die Sensoriker sollen auf keine Art und Weise beeinflusst werden. Die objektive Beurteilung ist ein zentraler Begriff und ein wichtiges Ziel der Sensorik.
Trotzdem ist auch Subjektivtät gefragt. Profis unterscheiden zwei Bewertungsarten: analytisch und hedonisch. Die analytische Bewertung ist überlegt, sorgfältig, reproduzierbar und eben objektiv. Die hedonische kommt aus dem Bauch heraus, ist also affektiv, emotional und entspricht dem subjektiven, persönlichen Geschmack. Beide haben ihre Berechtigung, Konsumenten fällen Kaufentscheide meist nach subjektiven Bewertungen, entsprechend wichtig sind diese Urteile in der Praxis.
Doch bei der Bio-Gourmet-Knospe sollten die Resultate reproduzierbar sein. Von den 68 Proben hat jede eine nachvollziehbare Bewertung verdient. Die Palette an eingereichten Produkten war breit. Sie reichte von Quark über Frischkäse, von Nussstangen zu Torten bis hin zu Gelée-Dragées. Da nicht von allen Produkten Exemplare von mindestens zwei Herstellern eingereicht wurden, mussten Vergleichsproben mitgegeben werden, die zwar nicht bewertet wurden, jedoch dazu dienten, das eingereichte Produkt in einem gewissen Kontext beurteilen zu können.
Für fachliche Beurteilungen, wie beispielsweise die Orangenzeste, welche zu tief abgerieben wurde, waren Experten aus den jeweiligen Produktekategorien zuständig.
Die Uhr zeigt inzwischen 12 Uhr. Nach den vielen süssen Proben verspüren die Experten einen Heisshunger auf Salziges. Dankbar greifen sie nach Trockenfleisch und Salzbretzeln, welche die Süsse neutralisieren. Bald müssen sie ihre Meinung für weitere Muster abgeben.
Samuel Wyssenbach