Das Kükentöten hat ein Ende

Männliche Küken wurden in der Schweiz jahrzehntelang direkt nach dem Schlüpfen getötet. Damit soll nun Schluss sein. In der Bio-Landwirtschaft werden alle Küken aufgezogen.

Früher, auf den Höfen unserer Grosseltern und Urgrosseltern, lebten Hennen, die alle paar Tage ein Ei legten und Hähne, die für den nächsten Feiertag gemästet wurden. Ein solch idyllisches Bild ist heute nur noch im Hobbybereich zu finden. Denn mit der Intensivierung der Landwirtschaft wurde auch die Geflügelhaltung professionalisiert. Heute halten die meisten Landwirtinnen und Landwirte hochspezialisierte Hühner.

Das hängt in erster Linie mit unserem grossen Appetit auf Poulet und Eier zusammen: In der Schweiz essen wir pro Kopf 200 Eier im Jahr, vom Frühstücksei bis zur Mayonnaise. Dazu kommen 10 Kilogramm Pouletfleisch – Tendenz steigend.

Video: Bruderhahn und Zweinutzungshuhn

Warum wurden männliche Küken getötet?

Die Anforderungen ans Huhn mussten mit diesem Appetit schritthalten: Hochspezialisierte Hühner wandeln ihr Futter effizient in Eier oder Fleisch um. Jahrzehnte des Zuchtfortschritts haben dazu geführt, dass sich bei den Hühnern zwei voneinander entkoppelte Produktionszweige entwickelt haben: Für die Pouletmast werden heute Hühner eingesetzt, die auf Fleischzuwachs hin gezüchtet sind. In der Legehennenhaltung für die Eierproduktion werden Tiere eingesetzt, die auf eine hohe Legeleistung hin gezüchtet wurden.

Während bei Mastpoulets beide Geschlechter gemästet werden können, eignen sich die männlichen Tiere der Legehühner kaum für die Mast – sie setzen nur wenig Fleisch an. Die Brüder dieser spezialisierten Legehennen aufzuziehen, war für die Landwirtschaftsbetriebe schlicht nicht wirtschaftlich. Entsprechend wurden in der Schweiz bisher jedes Jahr 2 Millionen männliche Küken der Legehühner kurz nach dem Schlüpfen getötet. Bereits 2020 verbot das Schweizer Parlament das so genannte Kükenschreddern als Tötungsmethode. Das Vergasen mit Kohlenstoffdioxid blieb jedoch weiterhin erlaubt.

Auch diese Praxis ist jedoch hoch umstritten, sowohl unter Landwirt:innen als auch unter Konsument:innen. Das Schweizer Gesetz erlaubt das Vergasen zwar weiterhin. Dennoch hat die Schweizer Eierbranche beschlossen, männliche Küken nicht mehr direkt nach dem Schlüpfen zu töten.

Küken
(KirstenMia, Pixabay)

Alternativen zum Kükentöten

In der Schweiz werden aktuell zwei verschiedene Ansätze verfolgt, um das Kükentöten zu beenden: die Aufzucht der männlichen Küken in der biologischen Hühnerhaltung sowie die Geschlechtsbestimmung im Ei – die so genannte In Ovo-Technologie – in der konventionellen Hühnerhaltung.

Die Bio-Bäuerinnen und -Bauern erreichen das Ende des Kükentötens, indem sie Bruderhähne aufziehen oder Zweinutzungshühner halten.

Der Bio-Weg: Alle Küken leben

An der Delegiertenversammlung im November 2021 hat Bio Suisse beschlossen, dass ab 2026 Schluss mit dem Kükentöten sein soll. Stattdessen werden ab 2026 alle männlichen Küken aufgezogen. Gleichzeitig entschieden die Delegierten, dass die Geschlechtsbestimmung im Ei nicht zugelassen ist. 

Bruderhähne im Stall

Aufzucht der Bruderhähne

Die Brüder der Legehennen nennt man auch Bruderhähne. Aus einem Gelege schlüpfen jeweils ungefähr gleich viele Hähne wie Hennen. Im Biolandbau werden die Bruderhähne aufgezogen, bis sie mindestens 63 Tage alt sind.

Legehennen sind auf Eier-Legeleistung gezüchtet. Diese Linien wachsen langsamer und bringen weniger Fleisch auf die Waage als Mastpoulets. Die Bruderhähne haben die gleichen genetischen Voraussetzungen. Weil die Bruderhähne das Futter weniger effizient in Muskelzuwachs umsetzen als ein Mastpoulet, ist deren Aufzucht teurer. Die zusätzlichen Kosten werden über die Eier der Legehennen mitfinanziert. Deshalb steigt der Eierpreis um wenige Rappen.

Die Aufzucht der Bruderhähne geht für die Landwirt:innen mit Einbussen in der Effizienz einher – doch die Tierethik wird höher gewichtet: «Die Legehenne ist auch noch als Suppenhuhn wertvoll. Ebenso das Bruderhahnfleisch, das zu einer ethischen Eierproduktion dazugehört», sagt Barbara Schütz vom Bio-Hof Schütz in Strengelbach. Sie und ihr Mann ziehen bis zu 4000 Legehennen oder Bruderhähne auf und vermarkten Eier und Fleisch direkt.

Andere Landwirte setzen auf das so genannte Zweinutzungshuhn.

Zweinutzungshühner auf einem Strohballen

Das Zweinutzungshuhn ist zurück

Früher waren alle Hühner Zweinutzungshühner: Sie legten Eier und setzten gleichzeitig Fleisch an. Je mehr Eier und Fleisch wir essen wollten, desto leistungsfähigere Hühner wurden gezüchtet. Der Haken an der Sache: Entweder, ein Huhn legt maximal viele Eier im Jahr oder es lässt sich gut mästen. Beides zu maximieren geht nicht.

Die einseitige Zucht brachte Probleme mit sich. Masthühner, deren Muskeln schneller wachsen als die Knochen, haben ab einem gewissen Gewicht Mühe, ihr Gewicht selber zu tragen. Legehennen, die jeden Tag ein Ei legen, mobilisieren für die Eierschale mitunter Kalzium aus ihren Knochen. So sorgen sie für eine harte Eierschale, neigen mit zunehmendem Alter jedoch zu Knochenbrüchen, weil ihre Knochen porös werden. Seit einigen Jahren setzen bäuerliche Zuchtorganisationen und grosse Zuchtkonzerne wieder auf Zweinutzung, also auf eine ausgewogene Leistung beim Eierlegen und beim Fleischansatz. Statt auf über 300 Eier im Jahr wie die spezialisierte Legehenne kommt das Zweinutzungshuhn „nur“ auf etwa 240 Eier. Die Zweinutzungshähne setzen ordentlich Fleisch an, wenn auch nicht ganz so viel wie Mastpoulets.

Das Zweinutzungshuhn versetzt der Effizienz in der Eier- und Fleischproduktion einen Dämpfer. Das führt für die Bäuerinnen und Bauern zu höheren Kosten und letztlich zu einem höheren Preis für die Produkte. Dem gegenüber steht der Vorteil einer ethisch verantwortungsvollen Tierhaltung

Nicht nur die Landwirtschaft, auch Konsumentinnen und Konsumenten müssen sich umgewöhnen.

Zweinutzungshühner draussen

Was ändert sich durch das Ende des Kükentötens?

Andere Hühner

Bio-Bäuerinnen und Bauern, die neuerdings Zweinutzungshühner halten oder Bruderhähne aufziehen, betreten Neuland. Sie arbeiten mit neuen Tieren, die sich anders verhalten und andere Bedürfnisse haben. Betroffen sind auch jene, die weiterhin Eier produzieren. Denn die intensivsten Legehybriden werden ab 2026 nicht mehr verwendet, weil deren Brüder für die Aufzucht nicht geeignet sind.

Neue Geflügelfleischprodukte

Das Fleisch von Bruderhähnen unterscheidet sich in der Struktur und Geschmack von jenem der Mastpoulets. Es ist in der Regel etwas fester und aromatischer. Die Produktpalette ist breit und die Zubereitungsmöglichkeiten vielfältig. Das Brustfleisch eignet sich zum Kurzbraten, den Schenkel kann man auch schmoren.
Im Detailhandel aber auch in der Direktvermarktung werden zudem verschiedene verarbeitete Bruderhahnprodukte wie Chicken Nuggets, Würste, Burger-Patties oder Fleischbällchen angeboten.
Das Fleisch der Zweinutzungshähne ist mit dem von Mastpoulets vergleichbar und wird vorwiegend als Poulet ganz verkauft.

Bewusst essen

Dass Küken nicht mehr getötet werden, ist in der Schweiz breit abgestützt. Damit die Rechnung für die Landwirtschaft aufgeht, gibt es eine einfache Lösung: Wer regelmässig Eier isst, kauft pro Jahr bestenfalls auch ein Suppenhuhn und einen Bruderhahn.

Beige und braune Eier

Eier in beige und braun
Auch die Konsumentinnen und Konsumenten müssen sich umstellen: Eier von Zweinutzungshühnern und von Legehennen auf Knospe-Höfen sind nicht reinweiss, sondern beige bis braun. Die Bio-Landwirtschaft setzt auf Braunleger, weil deren Hähne mehr Fleisch ansetzen. Weisse Eier wird es aber trotzdem noch in Bio-Qualität geben, weil es weiterhin direktvermarktende Betriebe geben wird, die weisslegende Rassehühner halten. Ausserdem variiert die Eiergrösse. Mal legt die Henne ein kleineres Ei, mal ein grösseres.

Höherer Eierpreis
Bruderhahnaufzucht und Zweinutzungshuhn steigern die Kosten der Produzent:innen. Bei der Bruderhahnaufzucht steigen die Futterkosten, weil die Hähne langsamer wachsen. Diese Kosten werden über den Verkauf der Eier mitfinanziert. Bei den Zweinutzungshühnern schlägt die geringere Lege- und Mastleistung zu Buche.
In beiden Fällen – Bruderhahnaufzucht und Zweinutzungshuhn – werden somit die Eier um ein paar Rappen teurer. Auch Eier aus konventioneller Haltung werden etwas teurer, da alle Eier mit In-Ovo-Technologie untersucht werden.

Bereits im Ei lässt sich das Geschlecht eines Kükens feststellen. Bei der In-Ovo-Technologie wird das Ei am 12. Tag untersucht. Nach dem Schlüpfen lassen sich männliche und weibliche Tiere erst nach einiger Zeit auseinanderhalten. Nach sechs Wochen wächst bei Hähnen der Kinnlappen, der bei den Hennen kleiner bleibt.

Woran erkenne ich, ob bei der Eierproduktion männliche Küken getötet wurden oder nicht?

Wenn keine männlichen Küken getötet wurden, sind Produkte wie Eier oder Fleisch speziell gekennzeichnet – allerdings recht unterschiedlich.

Im Coop beispielsweise steht auf diesen Eierpackungen „Für Henne & Hahn“. Eier von Demeter-Höfen sind mit „Hahn im Glück“ ausgezeichnet. Im Direktverkauf kennzeichnen Knospe-Landwirt:innen, die auf das Kükentöten verzichten, ihre Produkte mit „Hahn wie Henne“.

Labels Zweinutzungshuhn und Bruderhahn

Ab 2026 gilt: Für die Produktion aller Eier mit der Bio Suisse Knospe werden keine männlichen Küken mehr getötet. Bis dahin haben die Landwirt:innen Zeit, ihre Produktion anzupassen.

Bei konventionellen Eiern ist die Anwendung der In-Ovo-Technologie nicht immer gekennzeichnet.

Wer herausfinden will, wo das Frühstücksei gelegt wurde, kann den Eiercode-Finder von Gallosuisse benutzen. Einfach den Code eingeben, der aufs Ei gedruckt ist und der Finder gibt Auskunft über den Legeort. Für die Eierproduzent:innen ist das freiwillig. Deswegen führt nicht jede Suche zu einem Ergebnis.

Leider kann man sich nicht bei allen verarbeiteten Produkten zu 100 Prozent sicher sein, dass die Eier nur aus hahnfreundlicher Produktion stammen: In vielen Ländern ist das Kükentöten in der konventionellen Landwirtschaft nach wie vor erlaubt. Je nachdem woher Produkte wie Guetzli, Kuchen oder Mayonnaise stammen, ist es möglich, dass für die darin verarbeiteten Eier männliche Küken sterben mussten.

Und welche Lösung zum Ausstieg aus dem Kükentöten gibt es in der konventionellen, nicht biologischen Landwirtschaft?

Die In-Ovo-Geschlechtsbestimmung

Die konventionelle Landwirtschaft setzt auf einen technologischen Ansatz, um das Kükentöten zu stoppen: Bei der In-Ovo-Technologie wird das Geschlecht des Hühnerembryos am 12. Tag der Bebrütung in einem nicht-invasiven Verfahren bestimmt. In den Brütereien werden sämtliche Eier mit Magnetresonanztechnologie durchleuchtet. Ist das Embryo weiblich, wird das Ei weiter bebrütet. Eier mit männlichen Embryonen werden aussortiert. Die In-Ovo-Technologie soll bis Anfang 2026 schweizweit für alle Eier eingeführt sein.

Der Vorteil: Die Eier werden in einem Arbeitsschritt getestet.

Die Nachteile der In-Ovo-Technologie: Sie ist nicht komplett fehlerfrei. Das heisst, dass männliche Embyonen nicht mit 100%-iger Sicherheit detektiert werden und folglich immer noch ein kleiner Anteil Bruderküken schlüpfen und getötet werden. Bio Suisse gewichtet den ethischen Aspekt höher und vertritt die Überzeugung, dass das Töten von Küken oder Embryonen aus primär wirtschaftlichen Gründen nicht zum Biolandbau passt.

Aus diesem Grund verfolgt der Biolandbau den Lösungsansatz, alle Hähne aufzuziehen.

Zwei Bruderhähne auf der Stange

In der EU gibt es keine einheitlichen Gesetze, die das Töten männlicher Küken verbieten oder regeln. In Deutschland ist das Kükentöten seit 2022 verboten. Frankreich hat das Verbot 2023 eingeführt – allerdings macht man für Rassen, die weisse Eier legen, eine Ausnahme. Österreich hat zwar ebenfalls ein Verbot, macht aber Ausnahmen, wenn die Küken als Tierfutter benötigt werden, beispielsweise in Zoos. Italien verschiebt die Einführung des Verbots immer wieder – Stand jetzt soll bis 2027 ein Gesetz vorliegen.

Die konventionelle europäische Eierbranche setzt in erster Linie auf die In-Ovo-Technologie, bei der das Geschlecht der Küken schon im Ei bestimmt wird. Gleichzeitig gibt es Schlupflöcher: Sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz ist es nach wie vor erlaubt, Eier aus anderen Ländern zu importieren. Betriebe können zudem Legehennen aus dem Ausland einkaufen, deren Brüder getötet wurden.

Bei Knospe-Betrieben sind die Regeln strenger: Hier dürfen nur Legehennen aus Schweizer Bio-Brütereien aufgezogen werden. Diese Hennen werden nach Bio Suisse Richtlinien ausgebrütet und gehalten.

In jedem Gelege sind die männlichen und die weiblichen Küken in etwa gleich verteilt. Nach 21 Tagen schlüpfen jeweils gleich viele Hähne und Hennen.

Die Produkte sind unterschiedlich ausgezeichnet. Auf der Bio-Eierpackung im Coop beispielsweise mit einem «Für Henne & Hahn»-Sticker. Eier vom Zweinutzungshuhn sind ebenfalls gekennzeichnet. Die Bio-Eier in der Migros tragen das Logo «Aus Liebe zu den Küken». Andere Anbieter weisen «Fleisch vom Bruderhahn» aus.

Im Direktverkauf können die Bezeichnungen variieren. Familie Schütz beispielsweise zeichnet ihre Produkte im Direktverkauf mit «Güggelglück» aus. Bio Suisse stellt Betrieben mit Direktverkauf das «Hahn wie Henne»-Label zur Verfügung.

Nach den Demeter-Richtlinien werden ebenfalls alle Hähne aufgezogen. Die Produkte sind mit dem «Hahn im Glück»-Label gekennzeichnet.

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