Kräuter und Tees aus dem Bio Tal

03.11.2025

Vor einem halben Jahrhundert hat Reto Raselli die ersten Tees angepflanzt. Heute ist das Val Poschiavo ein auch wirtschaftlich blühendes Bio Tal. Wer den Raselli-Betrieb besucht, badet im Kräuterduft.

Über Nacht hat der Wind auf Nord gedreht. Vom Bernina-Massiv auf über 4000 Metern fällt er ins Puschlav, krallt sich am Gras der Bio-Alpen fest und wird im Fallen zahmer. Bevor er unten im Tal zu einem warmen Lüftchen mutiert, streicht er über die Kräuterfelder von Reto Raselli. Der Einheimische ist Bio Pionier seit den 70er Jahren und hat es nie bereut.

Reto Raselli vor Schränken mit getrockneten Blüten
Foto: Raselli

Bio bevor es die Knospe gab

«Wir wollten und wollen auch Medizinalkräuter produzieren. Es wäre ja verrückt, geradezu schizophren, mit Pestiziden zuerst die Konsumentinnen und Konsumenten zu vergiften und sie dann gleichzeitig mit unseren Tees zu kurieren», blickt Raselli zurück. Das war lange vor der Gründung von Bio Suisse, doch sobald die Knospe kam, liess sich Raselli zertifizieren. Obwohl er auch anerkannte Heilpflanzen wie Ringelblumen, Pfefferminze oder Salbei anbaut, darf er sie weder als gesund bezeichnen noch ihnen Heilkraft zuschreiben. «Das müssen wir auch nicht, das machen andere für uns», sagt er.

Jährliche Analysen, wenige Tests

Bio Betrieb hin oder her, auch Raselli muss regelmässig Analysen machen lassen, welche beweisen, dass die Produkte frei sind von Fungi-, Insekti, Herbi- und was der Pestizide sonst noch so auf dem Markt ist. Diese findet man vor allem in Importware, wie Tests zeigen (siehe unten).

Ernte von Ringelblumen

Mehrere Untersuchungen zeigen, dass Kräuter- und Grüntees unterschiedlich stark mit Rückständen belastet sein können.

Public Eye (2023)
Überprüfte Importdaten: Kräuter und Gewürze waren am häufigsten mit verbotenen Rückständen belastet.

ÖKO-TEST (2021, Deutschland)
Analysierte 26 Kräutertees. 10 Produkte enthielten Chlorpyrifos, ein in der EU verbotenes Insektizid.

Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV, 2021)
Untersuchte 33 Teeproben aus Asien. 22 wurden beanstandet, teils wegen in der Schweiz verbotener Wirkstoffen.

saldo (2014)
Testete 15 Kräutertees. Alle Bio-Tees unauffällig, während 10 konventionelle Produkte mangelhaft oder ungenügend abschnitten. Bei über vier Tassen pro Tag könne die Aufnahmemenge einzelner Stoffe die empfohlenen Werte überschreiten.

SRF Kassensturz (2011)
Analysierte Grünteeproben. Es wurden mehrere Rückstände gefunden, aber keine Grenzwerte überschritten. Der Bericht weist jedoch auf einen breiten Pestizideinsatz in Asien hin.

K-Tipp (2011)
Untersuchte 20 Kräuter-, Früchte- und Pfefferminztees. 10 Produkte fielen durch wegen zu vieler Rückstände.

Auch kantonale Labors haben in den letzten Jahren Tee- und Kräuterproben untersucht. Die Ergebnisse zeigen deutliche Unterschiede zwischen einheimischen Produkten und Importen.

Kanton Zürich
Das Labor prüfte Kräutertees und andere pflanzliche Lebensmittel. Produkte aus der Schweiz waren deutlich weniger belastet als Importe. In Kräutern und Gewürzen aus dem Ausland wurden hohe Pestizidrückstände festgestellt, teils mit Produktrückrufen als Folge.

Kanton Basel-Stadt
Hier lag der Fokus auf Pyrrolizidinalkaloiden (PA) in Tee- und Kräuterteeproben. 2023 wurden 40 Proben untersucht, in 14 davon PA nachgewiesen, jedoch keine Grenzwertüberschreitungen festgestellt. Laut den Berichten von 2024 hat sich die Situation verbessert, die Kontrollen werden fortgesetzt.

Kanton St. Gallen
Das Labor analysierte Kräutertees und pflanzliche Lebensmittel aus der Ostschweiz. Die Beanstandungsquote war niedrig: Von 41 Proben im Jahr 2020 wurden zwei wegen Pestizidrückständen beanstandet.

Kanton Thurgau
Untersucht wurden Schwarz-, Grün-, Rot- und Kräutertees. In einer Untersuchung von 2017 fanden sich in 15 von 20 Proben Pestizidnachweise, die Höchstwerte wurden jedoch eingehalten. Besonders auffällig war eine Bittergurkentee-Probe aus Vietnam, die 16 verschiedene Pflanzenschutzmittel enthielt.

Reto Raselli und ein Mitarbeiter begutachten rosa Kornblumen
Foto: Raselli

Viel Handarbeit und hoffen auf schönes Wetter

Ein Gang mit Raselli über die Felder lässt erahnen, wie viel Arbeit in einem Glas Kräutertee steckt. «Wenn es wie im vergangenen Juni einfach nur regnet, wird es für uns alle schwierig», sagt Raselli, dem die Jahre ein bisschen Schnee in die Haare gewoben haben. «Du musst dann jedes Schönwetterfenster ausnützen. Wenn es mal nicht giesst, reissen wir von Hand das Beikraut aus. Mit dem Unkrautstriegel, respektive mit Maschinen, ist dann im tiefen Boden nichts zu machen.» Zehn bis zwölf Personen sind während der ganzen Saison mit Unkrautbekämpfung beschäftigt.

Gute Arbeit vom Fibl

Und klar, auch das Bündner Südtal ist nicht vor Pflanzenschädlingen und Krankheiten gefeit. «Doch hier hat das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (Fibl) sehr gute Arbeit geleistet. Dank der zugelassenen Mittel haben wir kaum Probleme.» Und was ist mit Schimmelspuren, die immer wieder in getrockneten Kräutern nachgewiesen werden? «Schimmel kommt höchstens dann vor, wenn es lange nass ist. Beim ersten Anzeichen wird so schnell wie möglich geerntet.» Und Schimmel in getrockneten Tees? «Das haben wir noch nie erlebt.»

Getrockneter Tee mit Blütenblättern
Foto: Raselli

Baden im Kräuterduft

Dann geht der 72-jährige Biopionier voran in die Verarbeitungsräume. Dort badet man wortwörtlich im Kräuterduft – man kann gar nicht genug davon kriegen. Dass die Kräuter so intensiv riechen, hat mit der Verarbeitung zu tun: «Wir trocknen unsere Tees nicht mit Gas oder Heizöl und erst recht nicht mit 70, 80 Grad, wie das oft üblich ist. Wir benutzen ökologischen Wasserstrom aus dem Puschlav. Wärmer als 40 Grad wird die Trocknungsanlage nie. Wir wollen die Aromastoffe ja nicht durch den Kamin jagen, sondern sie für unsere Kundinnen und Kunden erhalten.» Der Konkurrenzkampf auf dem Kräutermarkt ist extrem hart. «Wir können nur dank Topqualität mithalten. Dank Qualität und Bio. Ohne die Knospe gäbe es uns schon lange nicht mehr.»

ausgebreitete Ringelblumen
Foto: Raselli

Kräuter und ihre Wirkung

Viele heimische Kräuter haben wohltuende Eigenschaften.

Kamille (Matricaria recutita)

Wirkt entzündungshemmend, krampflösend und unterstützt die Wundheilung. Die Wirkung beruht auf ätherischen Ölen wie Bisabolol und Chamazulen sowie Flavonoiden.
Bestätigt durch: Kommission E, EMA, WHO

Pfefferminze (Mentha × piperita)

Fördert die Verdauung, wirkt krampflösend und kühlend. Hauptwirkstoffe sind Menthol, Menthon und 1,8-Cineol.
Bestätigt durch: Kommission E, EMA, ESCOP

Zitronenmelisse (Melissa officinalis)

Beruhigend, angstlösend und antiviral. Enthält ätherisches Öl (Citral, Citronellal) und Rosmarinsäure.
Bestätigt durch: Kommission E, ESCOP, WHO

Frauenmantel (Alchemilla vulgaris)

Traditionell bei Frauenbeschwerden angewendet; wirkt adstringierend durch Gerbstoffe und Flavonoide.
Bestätigt durch: ESCOP (traditionell)

Spitzwegerich (Plantago lanceolata)

Lindert Hustenreiz und wirkt entzündungshemmend. Enthält Schleimstoffe, Aucubin und Flavonoide.
Bestätigt durch: Kommission E, EMA, WHO

Eibisch (Althaea officinalis)

Wirkt schleimhautschützend und reizstillend bei Husten. Hauptwirkstoffe sind Polysaccharide (Schleimstoff) und Flavonoide.
Bestätigt durch: Kommission E, ESCOP, WHO

Schafgarbe (Achillea millefolium)

Krampflösend und verdauungsfördernd durch Bitterstoffe und ätherische Öle wie Azulen und Cineol.
Bestätigt durch: Kommission E, ESCOP, WHO

Salbei (Salvia officinalis)

Antibakteriell, entzündungs- und schweisshemmend dank ätherischer Öle (Thujon, Cineol, Kampfer) und Gerbstoffe.
Bestätigt durch: Kommission E, EMA, WHO

Thymian (Thymus vulgaris / T. zygis)

Antimikrobiell und auswurffördernd bei Husten. Hauptwirkstoffe: Thymol und Carvacrol.
Bestätigt durch: Kommission E, EMA, ESCOP

Verveine (Aloysia citrodora)

Beruhigend und verdauungsfördernd durch ätherisches Öl mit Citral und Limonen.
Bestätigt durch: ESCOP

Ringelblume (Calendula officinalis)

Unterstützt die Wundheilung und wirkt entzündungshemmend. Wirkstoffe: Carotinoide, Flavonoide und Saponine.
Bestätigt durch: Kommission E

Quellenkürzel:
Kommission E = Deutsches Bundesinstitut für Arzneimittel, Monografien Heilpflanzen
EMA = European Medicines Agency (HMPC Monographs)
WHO = WHO Monographs on Selected Medicinal Plants
ESCOP = European Scientific Cooperative on Phytotherapy

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Feld mit Kamille. Im Hintergrund sind Berge und blauer Himmel zu sehen.
Foto: Raselli

Das Bio-Tal Puschlav

Das Val Poschiavo erstreckt sich vom Engadin bis hinunter ins mediterrane Veltlin. Die ursprüngliche Sprache ist Pus'ciavin. Das Puschlav war ein armes Tal, viele Bewohnerinnen und Bewohner mussten vor allem im 19. Jahrhundert auswandern. Einige kamen reich zurück – Palazzi und gepflegte Gärten im Hauptort Poschiavo erzählen davon.

Gleichzeitig mit ein paar progressiven Bauern stellte Raselli vor rund 50 Jahren auf Bio um, vor sechs Jahren hat er die operative Leitung an seinen Neffen Fabrizio Raselli übergeben. Doch Reto ist wesentlich daran beteiligt, dass das Puschlav ein Bio-Tal ist und wirtschaftlich aufblühte. Über 90 Prozent der Bauern, die Sennerei, Beerenbetriebe und sogar ein Olivenhain arbeiten biologisch.